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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0030
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Die toscanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung. 2 5

Reihen, verstreut sind. Ganz ornamental wirkt die spielende Belebung der Gebirgsumrisse durch
Blüthen.1

Auch die Eingliederung des fliessenden und stehenden Wassers in die Landschaft ist unnatürlich.
Die Ufer erheben sich wie schon auf antiken und altchristlichen Werken als zersprungene, scharf ge-
schnittene Felsränder.2 Das Meer »ist ein blauer Fleck mit schematischen Wellenlinien und grossen
Fischen, der Fluss ein blaues Band, ein Wasserhügel oder eine im Durchschnitt gesehene Wassergrube«.3

Die Architekturen genügen vor Allem dem Bedürfnisse nach Ortsbezeichnung. Die Byzantiner
gehen darin weiter als die altchristlichen Künstler; sie setzen Häuser u. dgl. auch dort in den Hinter-
grund, wo sie von der Erzählung nicht gefordert werden; ein gewisser Vorrath von Formen entsteht,
die den selbstverständlichen Zusatz zu allen Scenen bilden, die dergleichen nur verstatten.

Die reichen architektonischen Hintergründe, z. B. des Menologiums, der Homilien des Mönches
Jakob (Vaticana), scheinen auf den ersten Blick eine Menge realistischer Motive darzubieten. Bunt-
geschmückte Colonnaden ziehen sich die Häuser entlang und rufen die Erinnerung an die zahlreichen
Portiken und Säulenhallen wach, mit denen die prachtliebenden byzantinischen Monarchen die Haupt-
strassen Constantinopels geschmückt hatten; Kuppelkirchen und Kapellen von dem charakteristischen
Bautypus,4 der sich gerade in der oströmischen Baukunst entwickelt hat, tauchen nicht selten auf. Da-
neben kommen schlichte Häuser, eintönige Klosterhöfe vor, deren lange Quadermauern nur von weni-
gen schiessschartenähnlichen Luken durchbrochen werden.5 Mancherlei realistische Einzelheiten
scheinen auf aufmerksame Beobachtung zu deuten, wie die regelmässige Quertheilung der Wände durch
horizontale, reich ornamentirte Bänder, die vergitterten Fenster, die Dächer mit der sorgfältig ge-
zeichneten Ziegelbedeckung.6 Auch Motive, die in der antiken Malerei gebräuchlich waren, wie die
Villen mit Säulenhallen, die durch grünes Gebüsch führen,7 oder die bekannten Stadtansichten8
kommen vor.

Bei der Darstellung der Innenräume verlässt die byzantinischen Miniatoren der Realismus und
sie begnügen sich mit schmalen Andeutungen. Eine Art Ambo mit einer Doppeltreppe vertritt den
Tempel, 9 ein Betstuhl Marias Zimmer,10 ein mächtiger Ofen den Hof auf der Scene mit der Verleug-
nung Christi,11 die Einrichtung der Wochenstube diese selbst,12 eine Reihe von Arcaden mit dem Ambo
davor das Schiff einer Kirche.13

1 Homilien des Mönches Jacobus in der Vaticana: d'Agincourt, Peinture, pl. 50.

2 Oktateuch der Vaticana: d'Agincourt, pl. 62. Eine sonderbare Combination von Aufsicht und Durchschnitt eines
Flusses bildet das ikonographische Schema der Taufe Christi: das Thal des Jordan scheint sich perspectivisch zu verengen,
während das Wasser den Körper Christi, der im Vordergrunde steht, bis zu der Höhe der Schultern bedeckt; vgl. Strzygowski,
Ikonographie der Taufe Christi, S. 29; T. II, 11; III, 4 u. s. f.

3 Tikkanen, Psalterillustration, S. 21; vgl. das Vatican. Menologium: d'Agincourt, pl. 3i, 19 und 28. Wellen, als
Schleifen stilisirt, bei Gregor von Nazianz (Paris, Bibl. nat., Manuscr. Grecs): Abb. bei Rohault de Fleury, L'evangile II,
pl. 54. Im Evangeliar der Laurenziana sind kleine Seen eingestreut, die von geraden, spitzwinkelig gebrochenen Uferlinien
umschlossen werden. Sie stehen nicht im Zusammenhang mit dem Texte und sind von Kähnen mit Schilfern belebt.

4 Vgl. unsere Abbildungen aus dem vaticanischen Menologium, Fig. 11 und 12. Menologium Graecorum u. s. f. I,
p. 125, 140, 141, 181; II, 9, 64, 182, 214 u. s. f. Vgl. Labarte III, 46: on trouve cependant dans les nombreux tableaux que
offre le manuscrit quelques bätiments d'architecture byzantine comme au folio 43 oü l'on voit un monument ä coupole
flanque circulairement de huit corps de logis qui a du etre inspire au peintre par le Chrysotriclinium, Salle du tröne e"leve
dans le palais imperial.

5 Kondakoff" II, l3l.

6 Vgl. unsere Taf. I und II.

' Menologium Graecorum I, p. 39; II, p. 83.

8 Ebenda I, 7, 15, 42, 46 u. s. f.

9 Evangeliar: Paris, Bibl. nat., Manuscr. Grecs Nr. 74: Rohault de Fleury, L'evangile, pl. 3i, 2.

10 Bulletin de Corr. Hell. XVIII (1894), pl. XV f.

11 Evangeliar in Paris: Rohault de Fleury, a. a. O., pl 82, 3.

12 Evangeliar der Vaticana: d'Agincourt, pl. 59.

13 Vatic. Menologium: d'Agincourt, pl. 3i, 8. Zuweilen dienen auch die bald mit Kuppeln, bald mit Zeltdächern ge-
schlossenen Altarüberbauten, von denen man die ersteren häufig etwas voreilig als besonderes Kennzeichen byzantinischen
Einflusses ausgibt, als Andeutungen von Innenräumen.

XXI. 4
 
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