Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0038
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die toscanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung. 33

und lassen ihren Blick über die Werkstatt hinaus in die freie Natur schweifen. Aber von dem Auf-
schwung des Naturgefühls, der die Dichter Dante und Petrarca erfüllt, dringt nur ein schwacher Nach-
hall in die Bottegen der Maler. Jene gehören schon der neuen Zeit an, diese sind dem Mittelalter zu-
zuzählen.

Bevor wir unter die einzelnen Meister und Schulen treten, wollen wir die grossen Zuge der Ent-
wicklung kurz zusammenfassen und einige allgemeine Beobachtungen einflechten, die den Verlauf der
historischen Darstellung stören würden.

Die Grundlage der Landschafts- und Architekturmalerei bleibt die Tradition, so wie sie die byzan-
tinische Kunst durchgebildet und den italienischen Werkstätten des XII. und XIII. Jahrhunderts mit-
getheilt hatte. Ihre Schwächen: die kahlen abgetreppten Felshügel, die Trennung von Bodenform und
Vegetation, die conventioneile Perspective, das Missverhältnis zwischen den einzelnen Theilen der
Landschaft, machen sich auch noch im Trecento geltend. Aber neben solchen Rückständen sind die
Aeusserungen eines neuen Geistes nicht zu übersehen. Die Kluft zwischen Kunst und Wirklichkeit ist
minder tief und minder breit als in den vergangenen Jahrhunderten. Der Maler beginnt die Natur zu er-
kennen ; sein Augenmerk richtet sich nicht blos auf zufällig aufgeraffte Einzelheiten sondern auch auf das
Ganze und den Zusammenhang der Erscheinungen; seine Werke erheben immer vernehmlicher den
Anspruch, ein geschlossenes Stück Welt als solches wiederzugeben. Diese Bewegung führt nach zwei
Richtungen: einerseits zum Studium der Natur, andererseits zur Raumdarstellung im weitesten Sinne.

Das Studium der Natur knüpft zunächst an die Tradition an, bevorzugt die überlieferten Formen
und wird durch sie gehemmt. So führen die Maler die Auflösung der Gebirge in Felsmassen folge-
richtig durch, behalten damit aber auch die schematische Zeichnungs- und Beleuchtungsweise der Byzan-
tiner bei. Die Formen der Bäume, der Blumen und Gesträuche gehen auf oströmische Vorbilder zurück;
aber in dem Wuchs, in der Vertheilung der Zweige finden sich schon Gattungsmerkmale ausgedruckt;
die Blüthen und Blätter verlassen die Fläche und nehmen eine freiere organische Bewegung an. Da-
gegen wird die ängstliche Ausgestaltung und Vergrösserung des Details bis tief in das XV. Jahrhundert
beibehalten und nur an Fresken kommt eine grosszügigere Darstellungsweise auf, die Einzelheiten der
Gesammtwirkung zu Liebe unterdrückt. Ueber die Tradition hinaus geht das Streben, verschieden-
artige Motive und den Charakter gewisser landschaftlicher Scenerien wiederzugeben; aber nur ausnahms-
weise handelt es sich um Bilder bestimmter Gegenden; die Maler arbeiten nach Allgemeinvorstellungen
von Thal und Berg, von Ebenen, Schluchten, einsamen Klöstern im Walde und suchen diese in der
überlieferten Formensprache der Natur nachzuschaffen.

Auch die Architekturmalerei strebt dem Realismus zu: die Formensprache der italienischen
Gothik verdrängt um i3oo die classischen Bauglieder. Die Zahl der Abbildungen wirklicher Gebäude
nimmt zu,1 ein Zeichen des gesteigerten Wirklichkeitssinnes. Als neue Gattung tritt, allerdings
schwankend in seiner Gestaltung, das Interieur auf.

Die Darstellung von Innenräumen setzt eine gewisse Convention voraus. Wie kommt der
Beschauer eigentlich dazu, Vorgängen in völlig geschlossenen Räumen zuzusehen? Dem Mittel-
alter war die Frage fremd; Innenräume wurden durch wenige Einrichtungsstücke, wie in der byzan-
tinischen Malerei, oder durch flächenhaft gezeichnete Arcadenreihen, innerhalb deren die Gestalten
standen, wie häufig in der abendländischen Kunst, angedeutet.2 Der moderne Künstler schaltet
die Schwierigkeiten durch die Herstellung der Raumillusion und durch höchste gegenständliche

1 Die Reste des Alterthums einerseits, andererseits die hervorragendsten kirchlichen Bauten der Zeit, zugleich die Wahr-
zeichen bürgerlichen Opfersinnes und bürgerlichen Stolzes, ziehen die Aufmerksamkeit der Maler auf sich. Doch sind die
Beispiele für die zweite Gruppe zahlreicher (Lorenzetti, Dom von Siena auf der Vita agricola; Baptisterium von Florenz auf
den Fresken des Bartolo di Fredi in San Gimignano; Dom, Campanile und Baptisterium von Pisa auf den Fresken des Ant.
Veneziano im Camposanto von Pisa). Antike Bauten: Septizonium Severi auf dem Fresco Giottos: Verzicht des Franciscus
in der Capella Bardi von Santa Croce; Trajanssäule, Minervatempel von Assisi auf der Franciscuslegende in der Oberkirche
von San Francesco zu Assisi; Ansicht von Rom von Taddeo di Bartoli (Siena, P. PubbL, Kapelle). Schon aus diesem
lückenhaften Verzeichnis geht hervor, dass die Florentiner sich der Abbildung wirklicher Bauten fast ganz enthalten.

2 Siehe oben, S. 25 und 3i.

XXI. 5
 
Annotationen