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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0040
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Die toscanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung. 3 5

Langsam fallen die Schranken, mit welchen die Tradition des Mittelalters die Landschaftsmalerei
umzogen hatte. Nicht in dem Studium der Natur in ihren tausend Formen besteht das Verdienst der
Künstler des XIV. Jahrhunderts; sie haben die Bahn dazu erst freimachen müssen. Auch ihre Be-
mühungen um die Raumdarstellung besitzen keinen selbständigen Werth; trotzdem sind sie hoch-
bedeutsam. Eine neue Raumanschauung wächst aus ihnen hervor, die nothwendige Vorbedingung für
die rasche Entwicklung der Landschafts- und Raumdarstellung im folgenden Jahrhundert. Wir unter-
richten uns über ihre Entstehungsgeschichte am besten an der Hand der Linearperspective.

Die Tradition, die durch die by-
zantinische Kunst vermittelt wurde,
enthielt gewisse Muster perspectivischer
Darstellung, die sich wieder auf Ge-
wohnheiten der antiken Malerei grün-
deten. Das Interesse dafür war im
XIII. Jahrhundert sowohl in Constan-
tinopel als auch in Italien rege, wie
die Mosaiken der Mone tes Choras, der
Kathedralen von Palermo und Mon-
reale, der Marcuskirche in Venedig, der
ältesten Fresken von San Francesco zu
Assisi beweisen. Die Malerei unseres
Jahrhunderts knüpfte an diese, wenn
auch missverstandene Perspective an
und belebte sie. Aber gegenüber der
Regellosigkeit, die auf den angeführten
Denkmälern herrscht, überrascht die
Einheitlichkeit im Trecento. Schon
Duccio hat aus dem Gewirr wider- Fig. 20. Giotto, Verspottung Christi,

sprechender Handwerksbräucheeine Art Fresco in der Arena zu Padua.

System herausgehoben (ohne dass sich

behaupten Hesse, er sei dessen Schöpfer), das bis zur Entdeckung der Linearperspective in Uebung bleibt.

Nur die strenge Beobachtung des Horizontes ist darin neu. Er läuft meist in der Augenhöhe
der Figuren und lässt sich aus den reichlich vertheilten Simslinien abnehmen. Nach ihm richtet sich
die Neigung aller Horizontalen, die nicht parallel zur Bildfläche sind. Sie steigen und fallen von Stock-
werk zu Stockwerk um einen Winkel, der um einen bestimmten Theil zu- oder abnimmt. Zum ersten
Male seit der Antike und strenger als in dieser gilt die Regel, dass der Standpunkt des Beschauers und
sein Verhältnis zum Bilde durch die Verkürzungen zum Ausdrucke kommen müsse. Der genauere Be-
stimmungsort derselben, der Hauptpunkt, fehlt und wird nur an den realistischen Interieurs durch die
Innenwendung der verkürzten Horizontalen ersetzt. Sonst werden die verkürzten Seiten so gezeichnet,
dass der Beschauer seinen Standpunkt gegenüber dem Rande oder ausserhalb des Bildes suchen müsste.
Nur bei schiefer Ansicht und bei besonders geschickter Gruppirung fällt eine Verticallinie, die aber für
die Construction bedeutungslos ist, in die Bildfläche.

Aber auch die Entfernung des Beschauers von der Bildfläche wird empirisch berücksichtigt. Bei
der geraden Ansicht treffen die auf die Bildebene senkrechten Geraden in ihrer Flucht im Hauptpunkte
zusammen. Sind sie stark geneigt, so hat man sie aus der Nähe, sind sie schwach geneigt, so hat man
sie aus der Ferne zu betrachten. Im ersten Falle werden die Verkürzungen jäh aber stark raumwirkend;
im zweiten erscheinen die Gegenstände nicht so stark verzerrt aber der Entfernung halber auch weniger
plastisch. Bleiben wir einem Object gegenüber in gleicher Höhe, so wird der Horizont im Vergleiche
zur Bildgrösse der abgeschilderten Objecte wegen der Veränderung des Sehwinkels bei nahem Stand-
punkte höher, bei entferntem tiefer zu liegen kommen.

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