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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0043
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38

Wolfgang Kailab.

Figuren oder es bleibt unentschieden, ob sich zwischen beiden ein Zwischenraum befindet. Taddeo
Gaddi1 thut den entscheidenden Schritt zur Gliederung der Berglandschaft in drei Gründe. Er theilt
sie in drei Stufen, deren erste und zweite von Gestalten belebt wird. Die Figuren sind auf dem zweiten
Absätze, dem Mittelgrunde, am grössten und werden im Vordergrunde kleiner. Der Meister der
Hiobsbilder setzt den Vordergrund in sein natürliches Recht ein und bildet ihn im grössten Massstabe
aus. In Mannshöhe erscheint ein zweiter Grund, ein tiefer, sanft geneigter Bergrücken, der gegen den
Vordergrund abfällt, als zweiter Schauplatz der erzählenden Darstellung. Steile Felspyramiden
schliessen als dritter Grund den Raum, drängen sich aber auch in den zweiten, der sich dann jenseits
derselben und von ihnen überschnitten fortsetzt. Agnolo Gaddi vollendet: der ebene Mittelgrund keilt
sich zwischen die gebirgige Ferne und den Vordergrund, der wie auf den Pisaner Fresken eine
Stufe tiefer liegt. So entsteht die Ebene durch die Ausbreitung des Mittelgrundes. Ihre Erstreckung in
die Tiefe ist dem perspectivischen Vermögen des Zeitalters entsprechend zu gross dargestellt; der Boden

neigt sich gegen den Beschauer. Mit dem Eindringen
der Ebene wird die Bestimmung des Horizontes in
der Landschaft vorbereitet. Die Berge werden da-
gegen noch immer in Aufsicht gezeichnet. Selbst
vorgeschrittene Meister, wie der Maler der Hiobs-
bilder, suchen den Beschauer über das Fehlen des
Horizontes hinwegzutäuschen, indem sie die Abhänge
in schräge Platten auflösen.

Die Raumdarstellung, die hier angebahnt wor-
den ist, unterscheidet sich von der des Ambrogio
Lorenzetti oder der der Maler des XV. Jahrhunderts,
denen der Raum an den Objecten ihrer Landschaften,
die sie in der Wirklichkeit suchten, gegeben war.
Die Formensprache der Schule Giottos entfernte sich
immer mehr von der Natur; die Perspective der Land-
Fig. 23. Duccio, Noli me tangere, schaft wurde der überlieferten Architekturmalerei

Siena, Domopera. * nachgebildet und ihr Raum verdankt seine Ent-

stehung nicht den dargestellten Objecten sondern
der Entdeckung der Raumwirkung gewisser Liniensysteme. Weil er leer und arm an Gegenständen ist,
erwacht bei Taddeo und Agnolo Gaddi2 das Bedürfnis nach Motiven, die nach der Tiefe leiten, so-
wie nach einer Composition der Landschaft. Aber dieses Raumgefühl war roh und wenig empfindlich:
denn zwischen den menschlichen Gestalten, den Formen des Bodens und den Architekturen bestehen
unerträgliche Missverhältnisse, über die sich auch die kühnste Phantasie nicht hinwegzusetzen vermag.

Das Streben nach Raumwirkung mit den unzulänglichsten Darstellungsmitteln, das sich auf die
traditionelle Felslandschaft gründet, hat mit der verwandten Bewegung in der altchristlichen Kunst
des V. Jahrhunderts manche Aehnlichkeit. Der Raum als leeres gegenstandsloses Abstractum erscheint
als Motiv; in beiden Fällen wird die Leistungsfähigkeit der überlieferten Perspective überspannt. Aber
für das Trecento hat diese an und für sich verfehlte Entwicklung ihre Bedeutung: sie ist das Vorspiel
für den gewaltigen Aufschwung der Raumdarstellung im folgenden Jahrhundert.

2. Meister und Schulen.

Mit wenigen Zügen haben wir die Entwicklung der Landschafts- und Architekturmalerei im
Trecento umrissen. Das Bild, das entstanden ist, bedarf der Belebung und ist deren auch fähig.

1 Verkündigung an die Hirten in der Capella Baroncelli (Fig. 21).

2 Fresken in der Chorkapelle von Santa Croce zu Florenz (Fig. 22).
 
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