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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0074
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Die toscanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung.

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eine epische ist, so ist er auch der Epiker der Landschaft: lebhaft schildernd verweilt er bei den
ihm zusagenden Stellen, überspringt oft den Zusammenhang und verzichtet auf eine Charakteristik
und zeigt sich dort von der liebenswürdigsten Seite, wo er den beständigen Scenenwechsel des Hinter-
grundes mit dem Stoffe der figürlichen Darstellung in Einklang bringen kann, wie auf den Fresken der
Capella Riccardi (Fig. 38): die prächtige Cavalcade der drei Könige zieht zwischen zerklüfteten Felsen
einher, die sich in fingerförmiger Ausbreitung gegen den Vordergrund herabsenken. Diese schroffen
Klippen, deren Grate sich wie ein Netz verzweigen und Höhlen und abgeschiedene Winkel, ein will-
kommenes Versteck für allerlei Wild, bilden, lagern sich einem breiten Hügel vor, auf den Strassen
durch Gebüsch zu einer stattlichen, von einem Donjon bewehrten Burg hinanziehen, die vom höchsten
Gipfel des Höhenzuges grüsst. Rechts weitet sich der Raum und unter weissem Gewölk erscheint ein
hügelreicher Thalgrund. Auf mässiger Höhe, stets von hochstämmigen Cypressen und Palmen begleitet,
bewegt sich der Zug fort. Die Scenerie über der blumigen Hecke am Wege wechselt beständig. Der
eine der Könige reitet angesichts eines heiteren Thaies. Das blaue Band eines Flusses, das von einer
gewölbten Brücke überschritten wird, ist durch die Mulde gelegt. Da verschwindet es; ein steiler
Hügel, der ein Städtchen mit Kirche und Kloster trägt, stellt sich ihm in den Weg. Ein Kranz von
Bäumen umzieht den Fuss des Hügels; der Fleiss der Bewohner hat die Strassen, die sich in Serpentinen
heraufwinden, mit lebendigen Zäunen geschmückt. Auf der entgegengesetzten Thalseite steigen die
Hügel immer höher. Jeder bietet kleine abgeschlossene Bildchen. Hier die langen Furchen eines
Ackers, dort das Grau der Oelbäume, dann eine Fattoria inmitten von Bäumen und Feldern, vor-
nehmere Landhäuser mit hohem Luginsland, eine einsame Kapelle, ein weithin sichtbares Kirchlein.
Wälder, Wege, bebaute Felder, grüne Wiesen wechseln bis zum Gipfel stets verändert ab. Dann weitet
sich wieder der Ausblick, ein Thal öffnet sich mit reich belebtem Vordergrund. Wir sind mitten in
dem Blumengarten, innerhalb der glänzenden Lorbeerhecken. Unter den langen Cypressen, die senk-
recht die Luft fast bis zu den Wolken durchschneiden, blühen Rosen; auf dem Zaune sitzt ein Pfau.
Engel eilen durch die Fluren, sammeln Blumen zu Kränzen und Sträussen, sich und ihre singenden
Genossen zu schmücken ... So geht es ununterbrochen fort um alle Wände der kleinen Kapelle.

2. Die florentinische und umbrische Stimmungslandschaft.

Im drittletzten Jahrzehnt des XV. Jahrhunderts vollzieht sich in der toscanischen Landschafts-
malerei eine Wendung, die durch zwei Momente gekennzeichnet ist: die Auswahl ausdrucksvoller
Motive und die Berücksichtigung von Luft und Licht, den Trägern der landschaftlichen Stimmung.
Dieser Umschwung, der die Landschaftsmalerei ihren eigentlichen Aufgaben näher brachte, kam jedoch
nicht selbständig zustande sondern begleitet die Bewegung, die in der Darstellung des Menschen den
Ausdruck eines sensitiven Innenlebens und einer religiös gestimmten Melancholie neben der auf Form
und Raumwirkung gerichteten Auffassungsweise der Naturalisten begünstigte. So wird die Stimmung
der Landschaft zur Ergänzung des Ausdruckes, der den menschlichen Gestalten innewohnt. Durch
das Studium der atmosphärischen und Lichterscheinungen beginnt sich das Gefolgschaftsverhält-
nis zu lösen, das die Landschaft an die Figurenmalerei fesselte, und jene lenkt in eine malerische
Entwicklung ein, die dieser noch versagt ist. Aber gerade in der Zeit, als die in der Frührenaissance
gelegten Keime zur Entfaltung kommen sollten, wird das Interesse durch die römischen Schöpfungen
Raphaels und Michelangelos von diesem Gebiete abgelenkt und die toscanische Landschaftsmalerei,
die zu nicht minderen Hoffnungen berechtigte wie die venezianische, verkümmert.

Das erste bedeutende Denkmal des neuen Stiles sind die Fresken der Sixtinischen Kapelle. Doch
bevor wir uns diesen Schöpfungen zuwenden, haben wir des Zusammenhanges wegen einen Blick auf
die Behandlung von Luft und Licht in den früheren Jahrzehnten zu werfen.

Die atmosphärischen Erscheinungen hatte das Quattrocento für die Malerei erst entdecken müssen,
nachdem die naturwidrigsten Gepflogenheiten der Ueberlieferung schon im Trecento beseitigt worden
waren. Aber in den Werkstätten der Naturalisten erhielten die neuen Probleme durch die Beziehung
 
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