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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0088
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Die toscanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung.

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der höchsten, nahe dem überhängenden Rande des Felsens, hebt sich eine Kirche und ein Kloster von
der lichten Luft ab, zu denen auf steil gewundenem Pfade ein paar Mönche mit einem schwer beladenen
Esel hinaufsteigen. Der zweite Vorsprung, der sich fast in die Mitte des Grundes vorschiebt, ist be-
grünt; Gebüsch kriecht aus dem Gewände über seinen Rand hervor und unter dem Dache seiner über-
hängenden Felszacken biegt eine Strasse, hoch über dem Fluss. Der Vordergrund ist frei.

Reicher noch ist die Landschaft auf der »Anbetung der Könige« (Uffizien, 1496 dat.). Der Vorder-
grund mit der eigentlichen Scene ist eingesenkt; wenigstens trennt ihn ein niederer Höhenrücken von
der Ferne, die aus einer Fülle reizender Motive zusammengesetzt ist. Wege und Strassen durchziehen
die Gegend nach allen Richtungen. Sie laufen an der Waldecke zusammen, die durch die strohbedeckte
capanna (die Vasari1 nicht ohne Grund »bizarrissima« nennt) hervorschaut. Alle sind mit Cavalcaden
belebt, die hier als Gefolge der drei Könige, das sich sammelt, in nähere Beziehung zu der
Darstellung treten; sie bringen Leben und Bewegung in die Landschaft. Rechts sieht
man sie um einen Felsen mit überhängendem Rasengupf biegen; andere Reiter,
die weiter vorne gegen die rechte Seite sprengen, scheinen auf gesonderten
Wegen ihr Ziel erreichen zu wollen. Diese beiden Strassen umschliessen
ein kleines Idyll: zwischen Rasenkuppen ist ein Landhaus mit einem
alten, halbverfallenen Thurm gebettet, Heuschober flankiren seinen
Eingang; hinter ihm steigt eine Holzung von struppigen Büschen
und schütter belaubten Bäumen den niedrigen Hügel hinan.
Wandern wir wieder zu der Kreuzung der Wege zurück. Ein
Trupp von morgenländisch angethanen Leuten ist eben aus
der Stadt im Hintergrunde herangeritten. Die Strasse dahin
macht einen weiten Bogen und spaltet sich: der eine
Flügel führt auf die ausgedehnte hügelige Stadt zu, die
mit Mauern, Thürmen und Wallgräben wohl bewehrt
ist, und an ihr entlang wie jener andere zu den Klippen,
die in das Meer abstürzen. Die weissen Kämme der
Brandung schimmern durch das Halbdunkel. Ueber das Fig. 48. Filippino Lippi, Landschaft aus der

graue Meer gleitet der Blick und stösst weit im Hinter- »Verkündigung« zu San Gimignano.

gründe abermals auf einen gezackten Küstenvorsprung.

Eine Reihe von Riffen gleich Thürmen, deren Quadern Sturm und Zeit verrückt, ragen links neben
dem grünen Hügel auf, den eine liebliche Strasse unter hohen Bäumen zu einer Kirche hinangeleitet,
deren Thürme zwischen den Stämmen am hellen Horizonte hervorblitzen.

Man hat gerade diesem Werke Ueberfüllung vorgeworfen. Allerdings, es bietet einen jener
reichen Ausblicke, die das Quattrocento liebte, zu denen die vielgestaltige toscanische Landschaft be-
sonders einlud. Um den festlich bewegten Aufzug im Vordergrunde schlingt der Maler einen Kranz
heiterer und ernster landschaftlicher Motive. Doch wie fein hat er sie anzuordnen, ineinander über-
zuleiten verstanden! Das Auge des Beschauers, das in der Mitte eine Fülle einladender Bilder zerstreut,
wird doch auf allen Wegen zu dem gehaltenen Abschluss, dem Blick über die brandenden Wogen des
Meeres, in die Tiefe geleitet.

Genug der Beispiele. Im Vorbeigehen sei der schönen Landschaft auf der »Verkündigung« (San
Gimignano, Palazzo del Podestä, Fig. 48),2 sowie des realistischen Hintergrundes auf der »Madonna«
zu Santo Spirito in Florenz gedacht; jene bietet eine freie Vedute von Florenz und seiner Ebene in
breitem Sonnenlichte; dieser gibt der Tradition zufolge3 eine Ansicht des Stadtviertels jenseits des
Arno wieder, die von dem Thore von San Frediano aufgenommen ist.

1 Vasari (Sansoni) III, 473.

2 1483 am i3. Jänner bestellt; vgl. Arch. stor. delT arte III, 66.

3 Crowe und Cavalcaselle, a. a. O. III, S. 189. Ueber die Landschaft auf der »Madonna mit dem heil. Hieronymus und
Franciscus« in der National Gallery zu London (aus S. Pancrazio zu Florenz) vgl. ebenda, S. 2o3.

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