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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Kallab, Wolfgang: Die toskanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0094
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Die toscanische Landschaftsmalerei im XIV. und XV. Jahrhundert, ihre Entstehung und Entwicklung.

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Gewisse Willkürlichkeiten auf den Landschaften des Piero di Cosimo erinnern stets daran, dass
ihr Urheber der Schüler eines Meisters war, der die Ueberlieferung des Mittelalters noch gekannt hatte.
Dazu gesellte sich bei Piero eine starke Neigung zum Bizarren, die sich auf seinen Landschaften in un-
vermittelten schroffen Abstürzen der Berge, in den wie vom Winde verschobenen Graskuppen, die über
den Abstürzen hängen, geltend macht. Diese Eigentümlichkeiten, die auf den Landschaften der »Heim-
suchung« und der »Anbetung des Kindes« 1 weniger hervortreten, befremden auf den späteren Bildern,
wie der »Conception« (Uffizien) oder dem »Perseus« (ebenda, Nr. i3i2), die sonst von einem höchst
selbständigen Naturstudium zeugen.

Pieros frühe Hintergründe1 bewegen sich in dem Motivenkreis der jüngeren Florentiner Land-
schaftsmaler. Da sind die buschreichen Hügellandschaften mit den Städten im Thale wie bei Filip-
pino, die Häfen mit der Aussicht auf den Horizont des verblauenden Meeres, die Dom. Ghirlando liebt,
die coulissenhaft eingeschobenen Hügel Lorenzo di Credis, über die sich Wege hinüberschlängeln. In
der Zeit seiner Reife geht er seine eigenen Wege. Das Flachland Toscanas ist sein Studienfeld. Mit
Vorliebe zeichnet er die kleinen, unregelmässig gebauten Dörfchen, wie sie sich oft auf ansteigendem
Boden in malerischer Lage, die Kirche in der Mitte, um einen weiten Platz oder eine Strasse entlang
gruppiren (»Perseus«, »Conception«, Uffizien). Gerade an den reizenden Fachwerkhäuschen der
Bauern, an den Hütten der Hirten findet er Gefallen und setzt sie, ohne sie zu verschönen oder zurecht-
zustutzen, in seine Hintergründe ein. Damit vertreibt er endlich die typischen Stadtansichten mit den phan-
tastischen Gebäuden, die selbst bei Filippino Lippi noch vorkommen, und regt zum Studium eines weiten
Gebietes an. Die Scenerien an der Landstrasse2 mit einem Weiler oder Häusern in der Ferne, einsame
Gehöfte,3 die weite sandige Ebene mit den kalkgeweissten Mauern eines Städtchens in der Ferne4 blei-
ben bei seinen Schülern und Nachahmern Andrea del Sarto, Fra Bartolommeo und Franciabigio ständig.

Die Hintergründe des Piero di Cosimo und seiner Schule sind der Schlussstein der malerischen
Entwicklung der toscanischen Landschaftsmalerei. Filippino Lippi und Leonardo da Vinci hatten Luft-
stimmungen und Beleuchtungserscheinungen nur durch die Abstufung von Helligkeitsgegensätzen
innerhalb eines Tones wiedergegeben. Piero di Cosimo wagt es, sie farbig aufzulösen. Schon das
erste bekannte Werk, die Landschaft der »Bergpredigt« auf dem Fresco des Cosimo Roselli in der
Sixtinischen Kapelle, enthält die Ansätze dazu. Die Sonne, die hinter gelbglühenden Wolken links
hinter einem Felsen verschwindet, sendet ihre vollen Strahlen auf den mittleren Felskegel und färbt
die Wiese, den Wald und die Mauern der Wallfahrtskirche hoch oben gelb, umsäumt die dunklen
über ihnen schwebenden Wolken mit goldenen Fäden und lässt die Ferne in blauen und violetten
Tönen verdämmern. Das Spiegelbild des hellen Himmels erscheint in dem Fluss, die Mauern der Stadt
erstrahlen in reflectirtem Lichte, während sich auf das einsame Thal rechts schon der kühle Abend-
schatten herabgesenkt hat, der den Wiesengrund und den Wald dunkler stimmt. Die gedämpfte Be-
leuchtung dieses Frescos hält Piero auch auf den beiden kleinen Landschaften in Dresden (»heil.
Familie«) und auf dem Altarbilde für die Kapelle der Innocenti (Florenz) fest und lässt sie gegen die
lichtzitternde bläuliche Luft contrastiren. Die Seitentheile der Landschaft der »Conception« (Uffizien,
Fig. 50 und 52) sind schon in helles Sonnenlicht getaucht und heben sich von der tiefen, in unbe-
stimmten graublauen Tönen gehaltenen Ferne unvermittelt ab. Aber erst auf den Bildern seiner mitt-
leren und späten Zeit, wie dem »Perseus« in den Uffizien, der »Anbetung der Hirten« in den kgl. Museen
zu Berlin, den mythologischen Scenen in den kgl. Museen zu Berlin und der National-Gallerie zu Lon-
don, geht er zu dem vollen Freilicht über. Die sandigen Halden und die Stoppelfelder sind gelb und

1 Hylas und die Nymphen (bei Mr. Benson, London), Heimsuchung (bei Col. Cornwallis West in Newlands Manor),
Anbetung des Kindes (bei Mr. Street, London), Verlobung der heil. Katharina (Florenz, Innocenti), heil. Familie (Dres-
den, Gallerie). Vgl. Knapp, Piero di Cosimo, S. 32 f., 35 f., 40 f., 45 f., 50 f. Wieviel Piero als Landschaftsmaler dem Filip-
pino Lippi verdankt, zeigt das Tondo bei Th. Lawrie in Glasgow (Knapp, a. a. O., S. 64 f.).

2 Andrea del Sarto, SSm» Annunziata, Fresken im Vorhof. Franciabigio, Heraklestempel, Uffizien. Andrea del Sarto,
Cassoni, Gallerie Pitti.

3 Fra Bartolommeo, heil. Familie, Gallerie Corsini, Rom.

4 Fra Bartolommeo, Vision des heil. Bernhard, Akademie, Florenz; Franciabigio, Madonna del pozzo, Uffizien.
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