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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Graeven, Hans: Typen der Wiener Genesis auf byzantinischen Elfenbein-Reliefs
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0105
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IOO

Hans Graeven.

mit Corrado Ricci den Abguss mit der Kathedra vergleichen. Es ergab sich uns, dass beide Elfenbein-
schnitzereien aus derselben Werkstatt hervorgegangen sind. An der Echtheit des Diptychons wird
hinfort ein Zweifel nicht mehr möglich sein.

Für seinen Verdacht gegen die Josefreliefs hatte Didron Gründe nicht angeführt. Offenbar hat
ihn die Sonderbarkeit der Typen und Formen zu seinem Verdammungsurtheil verführt. Sie ver-
lieren aber alles Sonderbare für den, der die Entwicklung des hier in Betracht kommenden Zweiges
der byzantinischen Kunst kennt. Die Reliefdarstellung alttestamentlicher Stoffe nämlich ist höchst
merkwürdige Wege gegangen, wie uns am besten veranschaulicht wird durch eine kleine Reihe von
Elfenbeinplatten, auf denen Scenen aus der Geschichte Josuas gebildet sind.

Fig. 10. Elfenbeinrelief in Bologna.

Die mehrfach erwähnte Platte im South Kensington-Museum (Fig. 7) schliesst sich, wie die
Nebeneinanderstellung in der Abbildung zeigt, aufs Engste an die betreffenden Miniaturen des vaticani-
schen Rotulus (Fig. 6) an. Der reproducirte Ausschnitt des Rotulus stellt die beiden Gesandtschaften
der Gabaoniter an Josua dar. Auf dem Relief erscheinen rechts statt der Gesandten im Bürgerkleide
zwei gepanzerte Krieger; sie entsprechen den Boten, die in einer späteren Scene des Rotulus dem
Josua die Nachricht von der Flucht der Amoriterkönige überbringen,1 und gehörten ursprünglich
zu einem dieser Miniatur nachgebildeten Relief. Es ist einerseits die vorgestreckte Rechte des einen
Boten, andererseits das Bisellium Josuas unvollständig und daraus können wir schliessen, dass die Ver-
einigung der beiden Relicfstücke erst geschehen ist, als Theile der ursprünglichen Composition ab-
handen gekommen waren. Zweifelhaft ist es, ob auch die ä'usserste Kriegerfigur links aus einer ande-
ren Scene herrührt oder ob sie von Anfang an mit dem Mittelstück der Platte vereint gewesen ist.
Dass derartige lange Tafeln aus mehreren Stücken zusammengesetzt wurden, ist etwas ganz Gewöhn-
liches und die Haltung der Relieffigur gleicht der des entsprechenden Trabanten Josuas im Rotulus
bis auf den Schild, der hier auf den Boden gesetzt ist, dort am Arme getragen wird, so dass die Innen-
seite dem Beschauer zugekehrt ist. Man kann hier an eine absichtliche Aenderung des Reliefschnitzers
denken, der gerade mit dieser Figur einen breiteren Raum füllen wollte. Die Figuren auf dem Mittel-
stück des Reliefs stimmen in Stellung und Haltung völlig überein mit ihren Vorbildern im Rotulus;
nur einzelne Details sind in der Sculptur anders gebildet als in der Malerei. Dahin gehören die Füsse
des in Seitenansicht dargestellten Biselliums, über deren Form ich oben bei der Erklärung des Dres-
dener Josefreliefs gesprochen habe. Dahin gehört der Schuppenpanzer der Relieffiguren, die Verzie-
rung ihrer Schilde, die Form ihrer Helme, die Bildung ihrer Haare. Durch alle diese Details bekundet
das Josuarelief seine Verwandtschaft mit den profanen Elfenbeinkästchen. Gleichzeitig mit den besseren
derselben, in der zweiten Hälfte des IX. Jahrhunderts, ist das Londoner Relief entstanden.

1 Abbildung bei Garrucci, a. a. O. III, tav. 166; Jahrbuch der königl. preussischen Kunstsammlungen XVIII (1897), S. 9.
 
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