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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Hermann, Hermann Julius: Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara: Stilkritische Studien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0153
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Hermann Julius Hermann.

auch Crivelli zur Ausführung je eines Quinternio in jedem Monat verhalten; doch wird ihm keine
Strafe angedroht. Bezüglich der Bezahlung wird vereinbart, dass sie einen Wochenlohn von 12 Lire
und den Rest nach Ablieferung jedes Quinternio erhalten sollen.

Mit Rücksicht auf die verschärften Bedingungen mag der offenbar etwas saumselige Russi sich der
Mithilfe des Marco d eil' Avogaro vergewissert haben, der seither mehrfach stellvertretend für Russi ein-
tritt (vgl. Anhang, Nr. 60, 62 und 68). Auf besonderen Wunsch des Herzogs führte auch Giorgio
Tedesco 1459 einen Quinternio der Bibel aus, für den er am 18. November 1459 10 Goldgulden als
Anzahlung und am 3i. December 75 Lire erhielt (vgl. Anhang, Nr. 72 und 76). Damit sind wir der
wichtigen Frage gegenübergestellt, welche Partien der Bibel den vier bedeutendsten betheiligten Minia-
toren Taddeo Crivelli, Franco Russi, Giorgio Tedesco und Marco dell'Avogaro zuzutheilen
sind. Dabei muss natürlich berücksichtigt werden, dass bei einer so umfangreichen Arbeit auch die Mi-
niaturen jedes einzelnen Künstlers verschieden an Kunstwerth sind. Bedenkt man, dass sich rund
2000 Miniaturen und Thierbilder in den beiden Bänden vorfinden, dass weiters die Arbeit mehr als
sieben Jahre in Anspruch nahm, so sind Ungleichmässigkeit in der Ausfuhrung sowie stilistische
Wandlungen des einzelnen Miniators selbstverständlich.
Antheil des Weitaus den grössten Antheil an der Ausschmückung der Bibel nahm Taddeo Crivelli, gewiss

a eo v . bedeutendste Miniator seiner Zeit in Ferrara, vielleicht mit Ausnahme des Guglielmo Giraldi.

Crivelli war wohl der Leiter des ganzen Unternehmens, da er ja auch die Eintragungen in das Libro
di conto besorgte. Die urkundliche Ueberlieferung (Urkunden über allein von Crivelli ausgeführte
Quinternionen vgl. Anhang, Nr. 38, 46, 47, 52, 55, 56, 59, 64, 66, 67, 68, 69, 70, 73, 75, 78, 79, 80,
82, 83 und 84) bietet eigentlich nur geringfügige Anhaltspunkte, um mit Sicherheit den Antheil des
Crivelli festzustellen. Nach den Schlussabrechnungen (vgl. Anhang, Nr. 88) wurden Crivelli 42r/2
Quinternionen bezahlt; weit weniger eifrig war Russi (Urkunden für allein von Russi ausgeführte Quin-
ternionen vgl. Anhang, Nr. 29, 53, 57, 65, 71, 74, 77 und 81), der nur i7x/2 Lagen zuwege brachte.
Bedeutungsvoller erscheint die am 7. April 1463 erfolgte Auszahlung von 15 Goldgulden (= 41 Lire
12 Soldi 6 Den.) an Crivelli »per sua mercegna de aminiare il principio de la Bibia del prefato Si-
gnore«, eine Summe, die im Verhältnis zu den an Russi für jedes Titelblatt ausbezahlten 2 Gold-
gulden jedenfalls auf ein besonders umfangreiches Werk schliessen lässt (vgl. Anhang, Nr. 87 und 88).
Auffallend ist allerdings, dass die Zahlung erst 1463 ausgefolgt wurde, während bereits am 20. De-
cember 1462 für den Einband i38 Lire 15 Soldi ausbezahlt wurden. Es bleiben nur zwei Möglich-
keiten der Erklärung. Entweder hat sich Borso erst im Laufe der Arbeit entschlossen, die Aus-
führung des Titelblattes, welches als besonderes Prachtstück am Schlüsse der Arbeit ausgeführt
werden sollte, dem Taddeo Crivelli zu übertragen, dem die Arbeit erst später bezahlt wurde, weil sie
zufolge ihrer ganz exceptionell reichen Ausstattung erst einer Schätzung unterzogen wurde, die das
Werk statt auf 2 Goldgulden, wie die übrigen Titelblätter, auf 15 Goldgulden bewerthete; oder
die Zahlung von 15 Goldgulden bezieht sich auf das Titelblatt einer anderen im Auftrage Borsos aus-
geführten Bibel, etwa der Certosabibel. Nun hat Campori angenommen, Crivelli hätte 15 Goldgulden
für das Titelblatt der Borsobibel (am 7. April 1463) erhalten und ebenso 15 Goldgulden für das Titel-
blatt einer zweiten Bibel. So verlockend diese Angabe Camporis wäre, da dadurch meines Erachtens
sowohl das Titelblatt der Borsobibel als auch jenes der Certosabibel documentarisch als Werke Crivellis
beglaubigt wären, so scheint mir doch, dass Campori sich zweimal auf ein und dasselbe Document
berufen hat. Die grosse Uebereinstimmung der beiden, der Vermerk in der Schlussabrechnung, Cri-
velli hätte »fiorini 15 doro de camera per lo primo prencipio fato per lui« (vgl. Anhang,
Nr. 88) erhalten, sowie die zeitliche Priorität der Borsobibel, als deren Hauptmeister Crivelli sicher-
gestellt ist, lässt kaum einen Zweifel aufkommen, dass das Titelblatt der Borsobibel ein Werk des Cri-
velli ist und dass dieses dem Titelblatt der Certosabibel als Vorbild diente; wobei wohl anzunehmen
ist, dass das Titelblatt erst am Schlüsse der Arbeit ausgeführt wurde, was um so wahrscheinlicher ist, als
das künstlerisch vollendete Titelblatt den späteren Partien der Bibel näher steht als den rohen Minia-
turen der ersten Quinternionen.
 
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