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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Hermann, Hermann Julius: Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara: Stilkritische Studien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0157
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Hermann Julius Hermann.

unterscheiden sich die Miniaturen des Quinternio % (Band I, f. 212 — f. 221) nicht nur stilistisch von
allen übrigen Lagen sondern überragen auch die beiden ebenfalls isolirt stehenden Lagen o (Band I,
f. 122 — f. i3i) und c (die zwölfte Lage des II. Bandes, f. 94 — f. io3) weitaus an künstlerischem Werth.
Entscheidend für die Zuweisung dieses Quinternio an Giorgio d'Allemagna war für mich die ausser-
ordentliche Verwandtschaft des Stiles dieser Lage mit authentischen Miniaturen des Martino da Modena>
Giorgios Sohn. Es ist wohl anzunehmen, dass Martino seine künstlerische Erziehung der bewährten
Leitung seines Vaters verdankte. Ein Vergleich mit den Miniaturen Martinos lässt auch hier dieselben
Stileigenthümlichkeiten erkennen: die breiten Backenknochen, den derben Mund, die grossen aber aus-
drucksvollen Augen sowie die Technik, die durch ihren geringeren Wachszusatz der Aquarellmalerei
näher steht. Giorgio erweist sich hier als ein gewandter Meister von individuellem Stil, steht aber
seinem Sohn gegenüber an Tiefe des Colorits entschieden zurück; ebenso in Vergleich zu seinem her-
vorragendsten Schüler Guglielmo Giraldi, der seinen Lehrer auch an künstlerischer Vollendung und
individueller Auffassung überragt.

Fig. 21. Herabkunft des heiligen Geistes, Miniatur des Taddeo Crivelli in der Borsobibel, Band II, f. 216.
(Sammlung Sr. k. u. k. Hoheit Erzh. Franz Ferdinand von Oesterreich-Este).

Antheii des Schwieriger ist die Beantwortung der Frage, welche Miniaturen dem Marco deil' Avogaro an-

arC° aro AV°" gen°ren- Soweit die Eintragungen der Rechnungsbücher uns erhalten sind, findet sich dreimal (24. Jän-
ner und 11. November 1458 und 3i. December 1461 [vgl. Anhang, Nr. 60, 62 und 86]) eine Zahlung
von 75 Liren an Marco dell' Avogaro für je einen Quinternio, den der Meister als Stellvertreter des
Russi ausgeführt hat. Nun fallen die beiden genannten Quinternionen o (Band I, 14. Lage, f. 122 —
f. i3i) und e (Band II, 12. Lage, f. 94—io3) allerdings stilistisch völlig aus der Reihe der Quinter-
nionen; doch sind sie von ganz untergeordnetem Kunstwerth und gehören wohl nur unbedeutenden
Gehilfen an. Zudem sind aber die beiden Quinternionen auch untereinander verschieden und rühren
von zwei verschiedenen Gehilfen her, deren Namen wir freilich nicht mehr feststellen können. Wenn
wir aber bedenken, dass die Ueberlieferung recht lückenhaft ist, dass ferner Marco dell'Avogaro — ein
geschätzter Meister — ausdrücklich als Stellvertreter des Russi bezeichnet wird, so ist die Annahme
nicht zu gewagt, dass Marco dell' Avogaro — schon mit Rücksicht auf die für Russi recht verschärften
Bedingungen des zweiten Vertrages — öfter als dreimal zur Hilfeleistung herangezogen wurde. Ich
möchte mit ihm daher jenen Miniator identificiren, der neben Franco und Taddeo als dritter Miniator
im zweiten Bande der Bibel erscheint und der— offenbar bei Gelegenheit der Ausführung des Titel-
blattes — auch in dem ersten Quinternio b einige Miniaturen zur Genesis ausführte. Trifft diese Hypo-
these zu, so lernen wir auch in Marco dell' Avogaro einen bedeutenden Meister kennen, dessen Stil
 
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