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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Hermann, Hermann Julius: Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara: Stilkritische Studien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0178
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Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara.

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Zeilen des Textes, wieder »al antiga« ausgeführt, besassen »una choda de fuora lavorade a la parexina
da zima fina de soto fate d'oro e de choluori«. Campori (a. a. O., p. 255) hat nun vermuthet, dass dieser
Codex mit dem Codex italicus MXV der Biblioteca Estense zu Modena, der die erste Decade des
Livius enthält, identisch sei, und gemeint, das Titelblatt sei herausgeschnitten worden.

Der französisch-niederländische Typus der Initialbilder mag Campori zu dieser Hypothese ver-
anlasst haben, obwohl in den Zahlungsbüchern ausdrücklich erwähnt wird, die Initialen seien »al antiga«
und nur die Randleisten seien im Stile »a la parigina« ausgeführt gewesen. Venturi1 hat mit Recht
darauf hingewiesen, dass diese Miniaturen von einem nordischen Künstler herrühren. Stilistisch,
coloristisch und technisch gehören sie einem Miniator der burgundischen Schule (von Brügge) an.
Zart in der Ausführung, phantastisch durch die burgundische Zeittracht, zeigen sie völligen Mangel
an Kenntnis der Perspective. Die beigegebene Reproduction nach der Miniatur zum zweiten Buch
der Decade (f. 38, Fig. 38), welche die Vertreibung der Könige aus Rom darstellt, documentirt
die Vorzüge und Mängel des Miniators. Ausserdem ist das Initialbild in der Breite von zwölf Zeilen
ausgeführt, während die Rechnungsbücher zehn Zeilen als Grösse er-
wähnen; selbst die kleinen Initialen tragen übrigens völlig franzö-
sisches Gepräge. Fällt somit die Zutheilung des Codex an Avogaro,
mit dessen Miniaturen in der Bibel auch nicht die geringste Verwandt-
schaft besteht, so ist es doch recht wahrscheinlich, dass die Miniaturen
von einem niederländischen Miniator in Italien ausgeführt wurden.
Erstens liegt der Text in einer italienischen Uebersetzung vor, wie
solche für Borso mehrfach angefertigt wurden; dann findet sich auf f. 2
zu Beginn des Prologs neben der Initiale I ein Bild des Autors, sichtlich
von der Hand eines italienischen Miniators. Auch wissen wir, dass zahl-
reiche französische und niederländische Künstler in Ferrara ansässig
waren.2 Uebrigens ist uns ein ähnliches Beispiel in einem italienischen
Codex des Trionfo des Petrarca in der Bibliothek zu Modena (Codex
ital. CHI) erhalten, dessen äusserst rohe Miniaturen von einem unter-
geordneten französischen Miniator in Italien ausgeführt wurden. Zum letzten Male finde ich Marco
delT Avogaro in dem oben genannten Registro della Guardaroba di Ercole I.3 (f. 17) erwähnt, in wel-
chem zum 17. Jänner 1472 verzeichnet steht: »libro uno picolo in carta bona cum asse chuperte de
brasilio stampade cum uno azulo solo e de littera non tropo ben formada, che tracta de lo significato de
le arme e divixe del prefato nostro segnore, il qualle presento a la sua excellentia Marco de lo Avogaro.«

Die Meister der Borsobibel, Taddeo Crivelli und Franco Russi, stehen, wie wir gesehen haben,
unter dem Einfluss der Schule des Squarcione und werden später von der Stilrichtung des Pisanello
berührt. Wenn auch der Schule von Padua entstammend, schöpfen die beiden Meister gerade in ihren
besten Bildern aus der Formensprache des grossen Meisters von Verona. Die malerische Zeittracht und
Sorgfalt der Modellirung, vor Allem aber die trefflichen Thierstudien gehen entschieden auf ein Studium
der Werke Pisanellos zurück.

Im Gegensatz zu diesen von Padua und Verona abhängigen Künstlern stehen einige ferraresische
Miniatoren, die — parallel mit der in Ferrara sich ausbildenden Malerschule — einen selbständigen,
ferraresischen Stil ausbilden; ich sage parallel mit der älteren Malerschule von Ferrara, weil die
bedeutendsten Miniaturen dieser Richtung so ziemlich gleichzeitig mit den Hauptwerken der älteren
Schule von Ferrara, den Fresken des Palazzo Schifanoja und Turas Orgelflügeln im Dome, fallen. Be-
gründer dieser älteren Localschule der ferraresischen Miniaturmalerei scheint Giorgio Tedesco gewesen
zu sein; denn — angenommen, dass der Quinternio \ des ersten Bandes der Bibel wirklich dem Meister

Fig. 38. Die Vertreibung der Könige
aus Rom, Miniatur im Cod. ital.
MXV, f. 38, der Bibl. Estense in
Modena.

Die ältere
Localschule
der ferrare-
sischen
Miniatur-
malerei.

1 A. Venturi, L'arte ferrarese nel periodo di Borso d'Este, im II. Bande der Rivista storica italiana (1885), p. 732;
wieder abgedruckt in dessen genanntem Aufsatz im IV. Bande der Gallerie nazionali italiane.

2 Vgl. die oben erwähnten Mittheilungen E. Müntz'.

3 A. Venturi, L'arte ferrarese nel periode d'Ercole I d'Este, a. a. O.

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