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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
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Hermann, Hermann Julius: Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara: Stilkritische Studien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0184
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Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara.

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angehörigen, von Piero della Francesca abhängigen Miniator denkt. Ich habe den Codex im Winter 1895
gesehen, habe jedoch die Details nicht mehr so genau im Gedächtnis, um ein sicheres Unheil auszu-
sprechen. Soweit aus den bei Volkmann (a. a. O.) und in dem Werk Fr. X. Kraus' über Dante1 gegebenen
Reproductionen ein Schluss erlaubt ist, kann ich Venturis Hypothese zustimmen. Die dem Piero della
Francesca verwandte Formengebung, die eigenartige Behandlung des Brustkorbes, an dem Giraldi
eigenthümlicherweise den Abschluss der Rippen nach unten durch einen Fettwulst betont (wie auf der
Miniatur f. 19 des Psalteriums DCCCCXC in Modena), die zerklüfteten Felsen in der Landschaft, end-
lich die bunten Steinchen auf dem Boden im Vordergrunde erinnern an Guglielmo Giraldi. In diesen
höchst phantasievollen Miniaturen zu den Gesängen des Inferno offenbart Giraldi eine ganz ungewöhn-
liche Erfindungsgabe und Phantasie, die ihn weit über die beiden anderen betheiligten Miniatoren er-
heben. Von besonderer Phantastik sind stets die stimmungs-
reichen Landschaften, in die Giraldi mit bewunderungswürdi-
gem Verständnis des Dichters Scenen aus jedem Gesänge
eingliedert.2 In der Mannigfaltigkeit der Stimmung in der
Landschaft liegt die Hauptstärke des Meisters. Als ein charak-
teristisches Bildchen erwähne ich die Miniatur zum V. Gesang
des Inferno, in welchem der Dichter das unglückliche Liebes-
paar Paolo und Francesca da Rimini erblickt. Die beiden
nackten Gestalten erinnern hier ausserordentlich an Francesco
Cossas Schifanojafresken (Venus) und an den Sündenfall auf
dem Titelblatt der Gertosabibel. Gegenüber diesem phantasie-
vollen Meister treten die beiden anderen an dem Codex bethei-
ligten Miniatoren in den Hintergrund. Die Zutheilung der
Miniaturen zum Paradiso an Giulio Clovio ist mit Recht zu-
rückgewiesen worden; Ludwig Volkmann hat in seiner genann-
ten Publication den bekannten Miniaturmaler Cesare Pollini aus
Perugia als den Urheber dieser Miniaturen bezeichnet. Für
das Einzelne verweise ich auf die ausführlichen Beschreibun-
gen in dem genannten Werke von Franciosi. Ueberhaupt muss
ich auch die Zuschreibung an Giraldi vorläufig als Hypothese
betrachten, da ich — wie erwähnt — die Details nicht mehr in
Erinnerung habe.

Bedeutungsvoll scheint eine von Cittadella3 abgedruckte Notiz, die sich am Ende eines Codex
der Biblioteca comunale zu Ferrara (Classe II, Nr. 362) »super quatuor libros sententiarum Mag.
Petri de Aquila 1469« befindet. Ein Besitzer trägt nämlich die Bemerkung ein: »Emi ego Baptista
Pannetus, theologiae professor indignus, hunc Petrum de Aquila, vulgo dictus Scotellus, a Priore
Sancti Christophori de Cartusia, e pro ipso a Guielmo miniatore, Ferrariensi cive, precio inter
me et ipsum convento M°CCCC°LXX die vero duodecima Februarii, dum essem prior sancti Pauli
Ferrariae ordinis Carmeli.« Geht daraus hervor, dass Giraldi um jene Zeit mit der Certosa in Be-
ziehung stand, so bekräftigt dies das oben genannte bezeichnete Psalterium der Biblioteca Estense
(Cod. lat. DCCCCXC), welches für die Certosa ausgeführt wurde. Vielleicht war Giraldi später in
den Orden eingetreten. Schon Cittadella (a.a.O.) hat die Vermuthung ausgesprochen, dass Giraldi an
den Corali der Certosa betheiligt war; dann hat auch Gaetano Milanesi in seiner Ausgabe des Va-

Fig. 43. Verkündigung und Geburt Christi,
Miniaturen des Guglielmo Giraldi im libro
del Salvatore des Candido de' Bontempi.

(Modena, Bibl. Estense, Cod. ital. GCGLIII, f. 7).

1 F. X. Kraus, Dante, sein Leben und sein Werk, sein Verhältnis zur Kunst und Politik, Berlin (1897), S. 572 ff.

2 Abbildungen aus dem Inferno und Purgatorio finden sich (nach Volkmann) bei: d'Agincourt, Storia dell' arte, ta-
vola 77 (Inferno I, 3 und 5); Beissel, Vaticanische Miniaturen (Purgatorio 1); Bassermann, Dantes Spuren in Italien (In-
ferno 1, 5, 18, 25, 34; Purgatorio 1 und 2); Volkmann, a. a. O. (Inferno 6 und 12); Kraus, a. a. O. (Inferno 5; Purgatorio 10,
29 und 3i).

3 Cittadella, Documenti ed illustrazioni etc., p. 180, Anm. I.
 
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