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Hermann Julius Hermann.
herabfallenden Haare des Schöpfers (links oben in der Miniatur: Schöpfung der Gestirne) sei hingewiesen, wie
sich eine ähnliche Haarbehandlung auch in den Miniaturen Crivellis oft findet. Unter den Titelblättern zu den
in diesem Bande enthaltenen Büchern (Pentateuch, Josua, Richter und Ruth) hebe ich die Miniatur in der Ini-
tiale H zum Buch Exodus (f. 43') hervor, welche die Aussetzung und Findung Mosis darstellt; sie zeichnet sich
durch eingehendste Modellierung sowie treffliche Fernsicht aus (Fig. 45). Stilistisch steht sie dem Cossa nahe
und erinnert in der Auffassung der Landschaft an Giraldis Titelblatt zum Psalterium in Modena (Cod. DCCCCXC).
In gleicher Höhe halten sich die zum Theil auch coloristisch schönen Initialbilder zu den folgenden Büchern.
Band II (42 cm breit, 58-5 cm hoch, 245 f.)
Auf dem Titelblatte sind über dem Wappen und
den Emblemen Borsos Wappen und Embleme Er-
cole I. gemalt. Die Landschaft auf dem Titelblatte
unten (f. 1), welche von Pfauen, Rehen, einem
Kranich sowie von Putten in launiger Unterhaltung
mit Rehen belebt ist, erinnert an das Titelblatt zum
Buch Numeri in der Borsobibel (f. 56), das Crivelli
unter Betheiligung von Gehilfen ausführte. Beson-
ders reizend ist hier das Mittelstück: auf einem
Postament, vor welchem zwischen zwei Putten mit
Harfe und Trompete zwei Putten einen Schild mit
dem Diamantring mit der Nelke halten, steht zwi-
schen zwei lautenspielenden Putten eine Vase, auf
der das Einhorn sitzt, ein sicheres Zeichen, dass die
Miniatur unter Borso ausgeführt wurde und die
Wappen und Embleme unter Ercole eingefügt wur-
den (Fig. 44). Unten finden sich rechts und links
Ercoles Wappen, in der Randleiste rechts zwei Em-
bleme Ercoles: der dürre Baum und die drei Säulen
Fig. 50. Miniatur des Guglielmo Giraldi auf dem Titelblatte des jes Hercules.
Graduale L (f. 1) aus der Certosa von Ferrara. D;e sorgfältige Miniatur mit dem gefesselten
(Ferrara, Museo Civico di Schifanoja). Jeremias in der Initiale V gehört wohl dem Giraldi
an. Auch in den folgenden Miniaturen zu Beginn
der einzelnen Bücher sind treffliche Modellirung und reiches Colorit hervorzuheben. Die Miniatur zum ersten
Buch Esdra in der herrlichen Initiale I (f. 170'; Fig. 46) erinnert an eine Miniatur desselben Gegenstandes in der
Borsobibel (Band I, f. 197).
Band III (41 cm breit, 59 cm hoch, 220 f.).
Das Titelblatt zum III. Band (f. 1') mit einer Miniatur des heiligen Lucas in der Initiale P (Fig. 47) schliesst
sich vollkommen dem Hymnarium des Domes zu Ferrara an, so dass ich dieses dem Giraldi zuweise. Auch hier
dürfte das Wappen Ercoles I. (unten in der Mitte) später aus dem Borsos gebildet sein.
Weniger individuell sind die Initialbilder zu den folgenden Büchern. Der IV. Band (mit 178 f.) enthält nur
Initialen ohne Innenbilder. Wenn auch an Prunk der Ausstattung hinter der Borsobibel zurückstehend, nimmt
die Certosabibel durch die künstlerische Qualität der einzelnen Bilder einen sehr hohen Rang ein.1
Aus der glänzenden Reihe der Corali der Certosa von Ferrara schliessen sich zunächst acht Anti-
phonarien für das ganze Jahr (A—H) zu einem zusammengehörigen Ganzen zusammen. Die braunen Leder-
bände sind mit den alten Metallbeschlägen geschmückt, welche das Wappen Borsos und das Monogramm der Cer-
tosa »yhs« aufweisen. Die riesigen Folianten (55 cm breit, 77 cm hoch) enthalten wenige aber vortreffliche Initial-
bilder zu den Hauptfesten, die ich dem Giraldi und seinem Neffen Alessandro Leoni zutheilen möchte. Als
die bemerkenswerthesten hebe ich hervor:
Antiphonar A, f. 1: In der Initale A auf blauem, mit feinstem weissen Muster geziertem Grunde: der Prophet
Isaias, im Gebete knieend, dem das Christkind erscheint. Ausgezeichnet durch Leucht-
kraft des Colorits. Eigenthümlich sind die knochigen Finger, an denen, dem Skelet
der Hand ähnlich, die Knöchel stark betont sind. Ich halte diese Miniatur für eine
Arbeit des trefflichen Alessandro Leoni (Fig. 48).
Antiphonar B, f. 15': In der Initiale I: Maria und Josef verehren das neugeborne Kind; erinnert an dieselbe
Scene in der Handschrift des Candido de'Bontempi, f. 3 (Fig. 43) in Modena (Cod.
CCCLIH) von der Hand Giraldis.
Antiphonar C, f. iz3: In der Initiale D: die Arche Noahs (wohl von Giraldi).
1 Ich will nicht unerwähnt lassen, dass die Einbände der Bibel modern sind.
Hermann Julius Hermann.
herabfallenden Haare des Schöpfers (links oben in der Miniatur: Schöpfung der Gestirne) sei hingewiesen, wie
sich eine ähnliche Haarbehandlung auch in den Miniaturen Crivellis oft findet. Unter den Titelblättern zu den
in diesem Bande enthaltenen Büchern (Pentateuch, Josua, Richter und Ruth) hebe ich die Miniatur in der Ini-
tiale H zum Buch Exodus (f. 43') hervor, welche die Aussetzung und Findung Mosis darstellt; sie zeichnet sich
durch eingehendste Modellierung sowie treffliche Fernsicht aus (Fig. 45). Stilistisch steht sie dem Cossa nahe
und erinnert in der Auffassung der Landschaft an Giraldis Titelblatt zum Psalterium in Modena (Cod. DCCCCXC).
In gleicher Höhe halten sich die zum Theil auch coloristisch schönen Initialbilder zu den folgenden Büchern.
Band II (42 cm breit, 58-5 cm hoch, 245 f.)
Auf dem Titelblatte sind über dem Wappen und
den Emblemen Borsos Wappen und Embleme Er-
cole I. gemalt. Die Landschaft auf dem Titelblatte
unten (f. 1), welche von Pfauen, Rehen, einem
Kranich sowie von Putten in launiger Unterhaltung
mit Rehen belebt ist, erinnert an das Titelblatt zum
Buch Numeri in der Borsobibel (f. 56), das Crivelli
unter Betheiligung von Gehilfen ausführte. Beson-
ders reizend ist hier das Mittelstück: auf einem
Postament, vor welchem zwischen zwei Putten mit
Harfe und Trompete zwei Putten einen Schild mit
dem Diamantring mit der Nelke halten, steht zwi-
schen zwei lautenspielenden Putten eine Vase, auf
der das Einhorn sitzt, ein sicheres Zeichen, dass die
Miniatur unter Borso ausgeführt wurde und die
Wappen und Embleme unter Ercole eingefügt wur-
den (Fig. 44). Unten finden sich rechts und links
Ercoles Wappen, in der Randleiste rechts zwei Em-
bleme Ercoles: der dürre Baum und die drei Säulen
Fig. 50. Miniatur des Guglielmo Giraldi auf dem Titelblatte des jes Hercules.
Graduale L (f. 1) aus der Certosa von Ferrara. D;e sorgfältige Miniatur mit dem gefesselten
(Ferrara, Museo Civico di Schifanoja). Jeremias in der Initiale V gehört wohl dem Giraldi
an. Auch in den folgenden Miniaturen zu Beginn
der einzelnen Bücher sind treffliche Modellirung und reiches Colorit hervorzuheben. Die Miniatur zum ersten
Buch Esdra in der herrlichen Initiale I (f. 170'; Fig. 46) erinnert an eine Miniatur desselben Gegenstandes in der
Borsobibel (Band I, f. 197).
Band III (41 cm breit, 59 cm hoch, 220 f.).
Das Titelblatt zum III. Band (f. 1') mit einer Miniatur des heiligen Lucas in der Initiale P (Fig. 47) schliesst
sich vollkommen dem Hymnarium des Domes zu Ferrara an, so dass ich dieses dem Giraldi zuweise. Auch hier
dürfte das Wappen Ercoles I. (unten in der Mitte) später aus dem Borsos gebildet sein.
Weniger individuell sind die Initialbilder zu den folgenden Büchern. Der IV. Band (mit 178 f.) enthält nur
Initialen ohne Innenbilder. Wenn auch an Prunk der Ausstattung hinter der Borsobibel zurückstehend, nimmt
die Certosabibel durch die künstlerische Qualität der einzelnen Bilder einen sehr hohen Rang ein.1
Aus der glänzenden Reihe der Corali der Certosa von Ferrara schliessen sich zunächst acht Anti-
phonarien für das ganze Jahr (A—H) zu einem zusammengehörigen Ganzen zusammen. Die braunen Leder-
bände sind mit den alten Metallbeschlägen geschmückt, welche das Wappen Borsos und das Monogramm der Cer-
tosa »yhs« aufweisen. Die riesigen Folianten (55 cm breit, 77 cm hoch) enthalten wenige aber vortreffliche Initial-
bilder zu den Hauptfesten, die ich dem Giraldi und seinem Neffen Alessandro Leoni zutheilen möchte. Als
die bemerkenswerthesten hebe ich hervor:
Antiphonar A, f. 1: In der Initale A auf blauem, mit feinstem weissen Muster geziertem Grunde: der Prophet
Isaias, im Gebete knieend, dem das Christkind erscheint. Ausgezeichnet durch Leucht-
kraft des Colorits. Eigenthümlich sind die knochigen Finger, an denen, dem Skelet
der Hand ähnlich, die Knöchel stark betont sind. Ich halte diese Miniatur für eine
Arbeit des trefflichen Alessandro Leoni (Fig. 48).
Antiphonar B, f. 15': In der Initiale I: Maria und Josef verehren das neugeborne Kind; erinnert an dieselbe
Scene in der Handschrift des Candido de'Bontempi, f. 3 (Fig. 43) in Modena (Cod.
CCCLIH) von der Hand Giraldis.
Antiphonar C, f. iz3: In der Initiale D: die Arche Noahs (wohl von Giraldi).
1 Ich will nicht unerwähnt lassen, dass die Einbände der Bibel modern sind.