Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Hermann, Hermann Julius: Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara: Stilkritische Studien
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0228
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara.

223

ling bekränzt, während ein anderer rechts die Laute spielt, ein anmuthiges Bildchen von lombardischem
Ausdruck. Auch der Falkenjäger (zum Mai, f. 3) und die Ernte (zum Juni, f. 3') verdienen Erwähnung,
ebenso die dem November (f. 6) gewidmete Miniatur, die eine Frau mit Gänsen darstellt, die vom
Markte heimkehrt, während der Mann Holz spaltet.

beginnt der erste Theil des Codex: das »Breviarium secundum ordinem Romanae curiae«, vor welchem
zwischen

und f. 7 das Titelbild (Agram, Passepartout A) 1 mit dem Vollbilde auf der Versoseite eingeklebt war
(auf f. 16', Ende des Quinternio, ist noch das angeklebte Pergamentstreifchen sichtbar). Das Titel-
bild des Breviariums (Taf. XXVI), die vorzüglichste
Miniatur des Miniators a, ist ein Prachtstück selten-
ster Art, dem als Pendant das Titelblatt auf f. 7 gegen-
übersteht. Von trefflichster Erfindung zeugt schon
die Randleiste, die an die berühmte Miniatur des
Antonio da Monza in der Albertina erinnert: Oben
auf blau und roth wechselndem Grunde reiche Akan-
thusranken, mit Perlen geschmückt; in der Mitte zwi-
schen zwei Adlerköpfen mit Fischleibern, an denen
sich zwei reizende Engelchen festhalten, ist in einem
Medaillon in Halbfigur Gabriel als Verkündigungs-
engel dargestellt, dem auf f. 7 oben das Brustbild der
Madonna entspricht. Die Randleiste links zeigt auf
blau und roth wechselndem Grunde den Aufbau eines
Candelabers, überreich geschmückt mit Perlen, Del-
phinen, Masquerons, Einhornköpfen u. A. m.; in einem
Medaillon in der Mitte das Brustbild eines in einem
Buche lesenden Propheten. Ebenso zeigt die rechte
Randleiste — wenn auch einfacher — die Gestalt
eines Candelabers, an dem unter Anderem das Wappen
von Rovigo angebracht ist; in der Mitte ein Medaillon
mit dem Brustbild eines Propheten. Die eigenartigste
Decoration zeigt die Randleiste unten: von Perlen
umgeben, in der Mitte ein Cameo mit dem Portrait
Alfonsos (über jenem Ercoles gemalt), darüber der
Adler, an dessen Brust die »granata«, offenbar aus Ercoles Diamantring umgewandelt, prangt;
rechts und links davon zwei Hippokampen mit Turban, welche zwei grosse Medaillonbilder halten,
zu deren Seiten in den Ecken Schildchen mit Emblemen Alfonsos (Arm mit F und »granata«) ange-
bracht sind. Diese beiden grossen Medaillons stellen Scenen aus dem Leben des Apostels Paulus
dar, und zwar links in trefflich bewegter Composition Pauls Bekehrung (Apostelgeschichte, cap. 9,
v. 3—8); rechts Ananias macht den geblendeten Paulus wieder sehend (Apostelgeschichte, cap. 9,
v. 17 und 18: »es war, wie wenn Schuppen von seinen Augen fielen«). Beide Bildchen, die an Ro-
berti erinnern, zeichnen sich durch geschickte Composition, schöne Landschaft und sorgfältige Aus-
führung aus. Den höchsten Glanz entfaltet das Mittelbild, dessen künstlerische Qualitäten eines treff-
lichen Meisters würdig erscheinen; es bildet eine Illustration der Worte, mit denen das Breviarium
beginnt: »Fratres, scientes, quia hora est iam, nos de somno surgere, nunc autem proprior est no-
stra salus, quam cum credidimus« (Paulusbrief an die Römer, cap. i3, v. 11). Unsere Aufmerk-
samkeit fesselt zunächst (im Vordergrunde links) ein zum Theil zerstörter, glänzender Renaissance-
bau in bramanteskem Stil, der in einer über einer luftig durchbrochenen Säulchengallerie aufragenden
(aussen cylinderförmigen) Centraikuppel gipfelt, wie sie den lombardischen Renaissancebauten eigen
ist. Die Inschrift »Senatus Populusque Romanus« auf einem dreieckigen Giebel davor bezeichnet
das Gebäude als einen Römerbau. Den herrlichen Bau schmücken Friese, Medaillons mit Brust-
bildern und Festons, während oben auf der Säulengallerie ein Knabe das Estewappen hält. Der rechte
Flügel des Gebäudes steht in Trümmern, Epheu umrankt die verfallenen Mauern. Unten blicken wir
in eine von Renaissancesäulchen (deren Postamente ein Medaillon mit dem Stadtpatron, St. Georg,
schmückt) getragene Halle, in der drei Männer in bürgerlicher Zeittracht im Gespräch begriffen sind;
bei dem einen, in violettem Talar in der Mitte, der aus dem Bilde herausblickt, möchte man meinen,
der Miniator wollte damit sein Selbstportrait geben; vielleicht sind alle drei Portraits der Miniatoren.
Der eigentliche neutestamentarische Vorgang vollzieht sich rechts im Vordergrunde; da steht Paulus,
eine höchst würdevolle Gestalt in rothem Mantel über dem blauen Gewände, und legt seine Rechte
auf das Haupt eines schlafenden Mannes, vor dem auch ein zweiter in tiefen Schlaf versunken ist;
ein dritter rechts ist erwacht und blickt verehrungsvoll zu dem Apostelfürsten auf, der ihm offenbar
die Worte zuruft: hora est iam, nos de somno surgere, nunc autem proprior est nostra salus, quam

Fig. 78. St. Georg, Miniatur in dem Breviarium
Ercoles I., f. 317'.

(Samml. Sr. k. u. k. Hoheit Erzh. Franz Ferdinand von
Oesterreich-Este).

1 Abgebildet bei Rosini, Tafel CCIX; darnach bei Woltmann II, S. 350, fälschlich als Miniatur der Borsobibel bezeichnet.

29*
 
Annotationen