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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Hermann, Hermann Julius: Zur Geschichte der Miniaturmalerei am Hofe der Este in Ferrara: Stilkritische Studien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0249
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Hermann Julius Hermann.

Garofalo und der Ariost der italienischen Malerei, DossoDossi, der künstlerischen Beziehungen des
Herzogs zu Tizian nicht zu vergessen. Auch unter Ercole II. (1534—1559), durch dessen Ge-
mahlin Renata von Frankreich die reformatorische Bewegung auch in Ferrara Fuss fasste, und
unter Alfonso II. (1559 —1597), an dessen Hofe der unglückliche Torquato Tasso glänzte, erhielt
sich die künstlerische Bedeutung Ferraras auf ansehnlicher Höhe. Die Miniaturmalerei war aber von
ihrer Höhe ganz zu handwerklicher Uebung herabgesunken. In dem Inventar der Lucrezia werden
allerdings noch Miniaturhandschriften erwähnt; in der Mehrzahl finden sich aber gedruckte Bücher
in ihrem Besitz. Nur die beiden Cardinäle Ippolito I. und Ippolito II. scheinen noch der

Miniaturmalerei Interesse entgegen gebracht zu haben;
so erscheint ein Don Laudadio für Ippolito I., ein
Don Giovanni Magnanini und der obengenannte
Sigismondo da Fiesso (der das Corale Nr. 20 des
Domes minirte) für Ippolito II. thätig; sowie der Cardi-
nal Luigi d'Este aus Venedig Miniatoren (unter Ande-
ren Garanta) zur Ausschmückung von Truhen, Betten,
Sänften etc. heranzog.1 Wenn aber Alfonso II. von
Niccolö Zeno 12 Corvinushandschriften2 erwarb, so
spricht dies zu deutlich dafür, dass man die Miniatur-
codices schon mehr als historische Curiositäten, als
Kunstwerke einer vergangenen Zeit betrachtete. Nur
einige wenige Miniaturcodices aus dieser Periode will
ich erwähnen. In einem »libro de'giustiziati in Ferrara«
in der Biblioteca comunale zu Ferrara (Classe I,
Cod. Nr. 404) stellt eine äusserst rohe Miniatur die Hin-
richtung dreier Verschwörer, zweier Modenesen und
eines Reggianers (15. September 1506), die den Herzog
Alfonso I. tödten wollten, dar (Fig. 106). Auf einem
Gerüst im Vordergrunde wird eben die Hinrichtung
vollzogen. Ein Henkersknecht holt auf Befehl des
Richters zum Streiche gegen einen Gefesselten aus, dem
das Crucifix vorgehalten wird; links knieen Mitglieder
einer Bruderschaft, während herzogliche Lanzknechte
Wache halten; an zwei anderen Verschwörern ist das
Urtheil bereits vollstreckt worden. Trotz seiner rohen,
unbeholfenen Ausführung interessirt das Bild durch die
Darstellung des Palazzo della ragione mit den Gefäng-
nissen im Hintergrunde, die uns den Zustand des Palastes am Anfang des XVI. Jahrhunderts kennen
lernen lässt.

Am klarsten lässt sich der Verfall der Miniaturmalerei in Ferrara an einem Codex der »Diplomi
dei duchi di Ferrara alla certosa di S. Cristoforo« in der Biblioteca Trivulziana
(Cod. 1440) verfolgen, dessen Miniaturen ganz ohne Grund von Porro (a. a. O.) dem Cosimo Tura (!)
zugeschrieben wurden. Der Codex beginnt f. 1 mit einer »Confirmatio Alfonsi I., Ferrariae dux (sie!),
omnium et quorumeumque privilegiorum ac decretorum per dominos duos Borsium et Herculem pri-
mum Cartusiae huic nostrae concessorum« vom i5. Mai 1505. Die schöne Randleiste zeigt in den Ecken
die Embleme der »granata« und des dreithürmigen Castelles; rechts und links in der Mitte der im Can-

Fig. 104. St. Augustinus vor Christus, Miniatur in den
Meditationibus Augustini.

(Venedig, R. Bibl. Marciana, cl. II, cod. LX, f. 4').

1 Vgl. darüber G. Campori, a. a. O.

s Noch heute befinden sich 10 von diesen in Modena; die zwei übrigen (die Homilien des Chrysostomus und der
Commentar des Hieronymus zu Paulus) kamen 1847 nacn Wien und befinden sich gegenwärtig (seit 1893) im National-
museum zu Budapest; vgl. darüber A. Venturi im Kunstfreund 1885.
 
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