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Hermann Julius Hermann.
darstellt; durch ein Fenster (links) blicken wir auf die Stadt Modena, von deren Stadtmauern S. Ge-
mignano an Soldaten eine Ansprache hält. Trotz des untergeordneten Kunstwerthes gewinnt das Bild
an Interesse durch die Ansicht der Stadt und ihres berühmten Glockenthurmes.
So sinkt die Miniaturmalerei in Ferrara von ihrem hohen Range rapid herab zu handwerksmässigem
Betrieb. Wie blühend und frisch wirkt dagegen jenes reizende Livre d'heures der Gemahlin Erco-
les IL, Renata von Frankreich (in der Biblioteca Estense, Cod. lat. DCXIV),1 das uns beweist,
wie hoch im ersten Viertel des XVI. Jahrhunderts das Können der französischen Miniatoren über jenem
der ferraresischen Buchmaler stand. Am längsten scheint die Miniaturmalerei noch in den Klöstern ge-
übt worden zu sein; und so rührt die späteste, grössere Miniaturhandschrift, die mit Sicherheit auf Fer-
rara localisirt werden kann, wieder aus der Certosa her, der wir das umfangreichste Werk der Minia-
turmalerei der Epoche Borsos verdanken, die Corali der Certosa von Ferrara. Ein volles Jahrhundert
hatte sich die Miniaturmalerei der Gunst des Fürstenhauses erfreut und unter dessen Fürsorge Werke
geschaffen, die zu den schönsten Perlen der italienischen Miniaturmalerei gehören; und durch zwei
Jahrhunderte entfaltete sich in Ferrara ein Kunstleben, das den Hof der Este zu einem der prunk-
vollsten und kunstliebendsten Höfe Europas machte. Die grossen künstlerischen Leistungen in Flo-
renz wurzelten im Volk, wenn auch die Medici die Entwicklung kräftig förderten; in Ferrara aber war
die Entfaltung der Kunst fast ausschliesslich an die Prachtliebe und das feinsinnige Kunstverständ-
nis des Fürstenhauses geknüpft.
»Gross ist Florenz und herrlich, doch der Werth
Von allen seinen aufgehäuften Schätzen
Reicht an Ferraras Edelsteine nicht.
Das Volk hat jene Stadt zur Stadt gemacht,
Ferrara ward durch seine Fürsten gross«.
(Goethe, Tasso, I. Aufzug, I. Auftritt).
1 Beschrieben von Celestino Cavedoni, Descrizione di un libro di divozione che appartenne a Madonna Renea di
Francia, moglie di Ercole II. d'Este, in Atti e memorie delle RR. deputationi di storia patria per Ie provincie modenesi e
parmensi II (1864), p. 314.
Fig. 106. Hinrichtung dreier Verschwörer unter Alfonso I. (15. Sept. 1506),
Miniatur in dem libro de' Giustiziati in Ferrara.
(Ferrara, Bibl. comunale, Cl. I, cod. 404, f. 17).
Hermann Julius Hermann.
darstellt; durch ein Fenster (links) blicken wir auf die Stadt Modena, von deren Stadtmauern S. Ge-
mignano an Soldaten eine Ansprache hält. Trotz des untergeordneten Kunstwerthes gewinnt das Bild
an Interesse durch die Ansicht der Stadt und ihres berühmten Glockenthurmes.
So sinkt die Miniaturmalerei in Ferrara von ihrem hohen Range rapid herab zu handwerksmässigem
Betrieb. Wie blühend und frisch wirkt dagegen jenes reizende Livre d'heures der Gemahlin Erco-
les IL, Renata von Frankreich (in der Biblioteca Estense, Cod. lat. DCXIV),1 das uns beweist,
wie hoch im ersten Viertel des XVI. Jahrhunderts das Können der französischen Miniatoren über jenem
der ferraresischen Buchmaler stand. Am längsten scheint die Miniaturmalerei noch in den Klöstern ge-
übt worden zu sein; und so rührt die späteste, grössere Miniaturhandschrift, die mit Sicherheit auf Fer-
rara localisirt werden kann, wieder aus der Certosa her, der wir das umfangreichste Werk der Minia-
turmalerei der Epoche Borsos verdanken, die Corali der Certosa von Ferrara. Ein volles Jahrhundert
hatte sich die Miniaturmalerei der Gunst des Fürstenhauses erfreut und unter dessen Fürsorge Werke
geschaffen, die zu den schönsten Perlen der italienischen Miniaturmalerei gehören; und durch zwei
Jahrhunderte entfaltete sich in Ferrara ein Kunstleben, das den Hof der Este zu einem der prunk-
vollsten und kunstliebendsten Höfe Europas machte. Die grossen künstlerischen Leistungen in Flo-
renz wurzelten im Volk, wenn auch die Medici die Entwicklung kräftig förderten; in Ferrara aber war
die Entfaltung der Kunst fast ausschliesslich an die Prachtliebe und das feinsinnige Kunstverständ-
nis des Fürstenhauses geknüpft.
»Gross ist Florenz und herrlich, doch der Werth
Von allen seinen aufgehäuften Schätzen
Reicht an Ferraras Edelsteine nicht.
Das Volk hat jene Stadt zur Stadt gemacht,
Ferrara ward durch seine Fürsten gross«.
(Goethe, Tasso, I. Aufzug, I. Auftritt).
1 Beschrieben von Celestino Cavedoni, Descrizione di un libro di divozione che appartenne a Madonna Renea di
Francia, moglie di Ercole II. d'Este, in Atti e memorie delle RR. deputationi di storia patria per Ie provincie modenesi e
parmensi II (1864), p. 314.
Fig. 106. Hinrichtung dreier Verschwörer unter Alfonso I. (15. Sept. 1506),
Miniatur in dem libro de' Giustiziati in Ferrara.
(Ferrara, Bibl. comunale, Cl. I, cod. 404, f. 17).