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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 21.1900

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I. Theil: Abhandlungen
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Schneider, Robert von: Ein Kunstsammler im alten Wien
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https://doi.org/10.11588/diglit.5733#0281
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Robert von Schneider.

und aufdringlich, klatschsüchtig und taktlos. Als einige Jahre später sich die Nachricht von dem Kaufe
des bayrischen Kronprinzen in Deutschland verbreitete, hatte er nichts eiliger zu thun, als über die
persönliche Begegnung in seiner stets pikanten Art in einem Aufsatze des Stuttgarter Morgenblattes 1
zu berichten. »Wer Pech knetet, klebt seine eigenen Hände zusammen«, schrieb einst in Bezug auf
diesen »schlimmen Gast« Goethe an Schiller, und nun sollte dies auch Barth erfahren. Was ihn an
Böttigers vielfach indiskretem Artikel verletzen musste, ist heute noch deutlich herauszufühlen. In-
dessen ist Böttiger von allzu böser Absicht freizusprechen und zumeist hielt er sich an das That-
sächliche, wie ja Graeffer und Karoline Pichler Barths Hauswesen kaum anders schildern als er. Auch
ist er der Einzige, der Nutzbares über den Antikenbesitz mittheilt, und man verweilt gern bei dem
Bilde, das er von der Erscheinung des einsamen Sonderlings entwirft. Er beschreibt ihn als schönen
alten Mann von gedrungenem kräftigen Körperbau, mit einem »wahren Philosophenkopfe«, das graue
Haar gelockt, das Antlitz ohne Runzeln, von gesunder Rothe und dem Feuer des Blickes belebt, und be-
zeugt damit die Treue des von Benedetti in Kupfer gestochenen Bildnisses, in dem der Künstler sich
selbst übertroffen und seinem ungewöhnlichen Können wie seiner Dankbarkeit, mit der er in Barth
den zweiten Vater verehrte, ein wahrhaft schönes Denkmal gesetzt hat.2

Diese Besuche galten vor allem dem »Ilioneus«. Er stammte bekanntlich aus der geheimnisvollen
Kunstkammer Kaiser Rudolfs des IL, die dem unseligsten aller Kriege, hart vor seinem endlichen Ab-
schlüsse, zur Beute fiel. Der schwedischen Plünderung glücklich entgangen, stand er seitdem missachtet
oder vergessen in der Burg von Prag. Wann und weshalb dieser Raum so plötzlich geleert werden
musste, ob wegen einer Krönung oder einer Hochzeit oder wegen der beabsichtigten Umwandlung des
Gebäudes in eine Kaserne, ist aus den einander widersprechenden Berichten nicht genau zu entnehmen
und im Grunde auch gleichgiltig. Nebst anderen Ueberresten des Rudolfinischen Kunstbesitzes, über
deren Werth oder Unwerth wir uns heute kein Urtheil zu bilden vermögen, brachten den Torso rohe
und unwissende Beamte zur öffentlichen Versteigerung und sprachen ihn um den Preis von wenigen
Groschen einem jüdischen Händler zu, der ihn wieder einem Steinmetzen überliess. Auf dessen Arbeits-
platze fand ihn Barth im Beginne der Achtzigerjahre, erstand ihn für wenige Gulden und nahm ihn nach
Wien. Von hier verbreitete sich sein Ruhm als des schönsten Jünglingskörpers, der uns aus dem Alter-
th ume erhalten sei und der in dem ganzen Statuenwalde Roms nicht seinesgleichen habe. Man deutete
ihn auf Ilioneus, den aus Ovid bekannten letzten Sohn der Niobe, ein Name, der ihm bis heute geblieben
ist, obgleich längst feststeht, dass er zur Niobidengruppe nicht gehört haben kann. Bald geschah seiner
in den vornehmsten Zeitschriften Erwähnung: durch Alois Hirt in Schillers Hören3 und durch
Heinrich Meyer in Goethes Propyläen.4 Auch die Sage umspann ihn mit ihren Fäden. In Prag, wo
man die beiden Strada als Antiquare Rudolfs nicht mehr kannte, wollte man wissen, dass der Astro-
nom Tycho de Brahe den Marmor dem Kaiser zugebracht hätte. Auch sprach es sich ernstlich herum,
dass der Kopf bei der Feilbietung der Statue noch vorhanden gewesen und dann auf allerlei Weise
verarbeitet worden sei. Ein Musikus producirte seinen Spazierstock, dessen Knopf daraus geformt
sei, ein Anderer sah ihn als Gewicht an einer Pendeluhr hängen, ein dritter wollte in einer bekannten
Schenke damit Kegel geschoben haben. Aber dieser Stadtklatsch wird durch die Beschaffenheit der

1 Morgenblatt für gebildete Stände vom 7. und 8. April 1815: »Besuch beym k. k. Rath Joseph Barth in Wien«.

2 Ausser diesem und dem oben genannten Porträt von Füger werden noch zwei andere Bildnisse von Barth ge-
nannt: das eine, in Schabmanier, von Johann Peter Pichler (gest. 1806) in Naglers Künstlerlexikon (Artikel Pichler), das
andere, von Josef Richter jun. in Wien gezeichnet, von J. D. Laurens in Berlin 1804 gestochen, in Wurzbachs Biographi-
schem Lexikon (Artikel Barth). Letzteres zeigt in der Art eines Cameos Barths Brustbild mit dem sehr verjüngten und ideali-
sierten Antlitze im Profil nach rechts, daneben im Felde eine von der Schlange umringelte Lanzette. Ein fünftes Bildnis,
eine Miniature von Fr. Lieder (1780—1859) weist mir Herr Dr. Camillo List nach und Herr Dr. Friedlowski hatte die Güte,
mir eine 1850 von Ed. Pesky für Hyrtl gemachte, in seinem Besitze befindliche Copie danach zur Einsicht zu überlassen.
Hier erscheint Barth in reichem Costüme mit dem Malteserkreuze auf dem Mantel, mit einem Backenbarte, der wie das Haupt-
haar bereits ergraut ist, das feine durchgeistigte Antlitz aufwärts nach rechts wendend. Die Lithographie in Graeffers Por-
träten-Gallerie berühmter Aerzte und Naturforscher des österr. Kaiserthums (i837/38) gibt Benedettis Stich im Gegensinne.

1 '797, io. Stück, Seite 20.

4 II. Band, 2. Stück (1799), S. i33; vgl. Meyers Anmerkung in Winkelmanns Werken VI, 2, S. 92 (1815).
 
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