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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0097
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Das holländische Gruppenporträt.

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legen die Hand auf die Brüstung der Schranke und demonstrieren damit ihr Stillehalten in unzweifel-
hafter Weise; ferner blicken jetzt zwei Drittel mehr oder weniger senkrecht zur Bildfläche nach der
Richtung des Beschauers heraus und nur ein Drittel, gegen die Mitte des Bildes hin, schaut linkswärts
vor sich hin; reine Profilköpfe, deren das Haarlemer Bild zwei aufwies, begegnen hier überhaupt nicht
mehr. Die Handlung als Vereinheitlichungsmittel ist somit so gut wie unterdrückt, und zwar offenbar
zu Gunsten des porträthaften Eindruckes. Wir fragen daher: worin beruht nun die Einheit der Auffassung?
Die Antwort müssen uns die Actionen der Hände geben, die diesmal bei Allen sichtbar gemacht sind.
Mit ihnen umfassen sie so aufdringlich die Palmwedel, dass die Absicht, diese Action dem Beschauer
recht bemerkbar zu machen, nicht verkannt werden kann: die Grabesbrüder wollen also den Beschauer,
nach dem sie ja zu zwei Drittel herausblicken, auf die Palmwedel als Symbol ihrer Gemeinsamkeit
aufmerksam machen. An Stelle der historienhaften Handlung sehen wir somit, wie schon im Haarlemer
Bilde, jedoch im verstärkten Maasse, den Symbolismus treten. Nur einer bildet scheinbar eine Aus-
nahme: der zweite in der Reihe, der mit gefalteten Händen betet; vergleicht man aber seine Kopf-
wendung gegen den Beschauer mit derjenigen des Betenden im Haarlemer Bilde (dort ebenfalls an
zweiter Stelle), wo sie in der Richtung des Andachtsobjectes, des heiligen Grabes, hin verlauft, so er-
kennt man, dass auch dieses Beten symbolisch gemeint ist, um dadurch den Beschauer auf einen der
gemeinsamen Zwecke der Brüderschaft aufmerksam zu machen.

Parallele Unterschiede gegenüber dem Haarlemer Bilde ergibt auch die Betrachtung der Com-
position. Die Figuren sind zwar noch verticale Axen, ohne diagonale Verbindung untereinander, und
ihre Wendungen sind, wie wir gesehen haben, gegenüber dem früheren Bilde eher einförmigere ge-
worden, so dass man an ein Zurückgehen auf Geertgens Standpunkt zu denken versucht sein könnte,
wenn nicht die überwiegende Wendung nach der Seite des Beschauers und die darin enthaltene An-
erkennung eines betrachtenden Subjectes (genauer gesagt: mehrerer solcher) eine entschiedene Steige-
rung des Subjectivismus verriethe. Aber die Horizontalen sind daneben in einer weit schrofferen und
geradezu überraschenden Weise betont, indem die Figuren nicht blos unten, wo ihnen die Ellbogen
weggeschnitten wurden, sondern namentlich auch oben, wo die Scheitel aller Köpfe schlechtweg ab-
gestutzt sind, gleichsam eingezwängt erscheinen. Es konnte damit nichts Anderes beabsichtigt sein,
als anstatt die Figuren, wie früher, in die Höhe streben, sie jetzt vielmehr aus der Tiefe gegen den
Beschauer herausspringen zu lassen; und zu dem gleichen Zwecke wurden auch die Hände in über-
triebener Grösse und drastischer Modellierung dem Beschauer entgegen in den Vordergrund gerückt
und endlich den Köpfen ein weit stärkeres Relief gegeben als jemals früher in der niederländischen
Kunst, wiewohl gerade nach der letzteren Seite, wie sich zeigen wird, bei Scorel selbst noch eine Stei-
gerung möglich war und das in Rede stehende Bild unter allen Utrechtern dem Haarlemer verhältnis-
mässig noch am nächsten steht. Diese Bewegung aus der Tiefe heraus erscheint endlich begleitet von
 
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