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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0098
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9 2 Alois Riegl.

Fig. 8. Jan van Scorel. Die Utrechter Jerusalemfahrer aus den Jahren 1525 bis 153
Utrecht, Museum Kunstliefde. — Linke Hälfte.

einer Bewegung in der Ebene durch Diagonalen, die aber nicht an den Hauptsachen — den Figuren —
haften sondern durch Nebensachen — die nun kreuz und quer gestellten Palmwedel — hervorgebracht
erscheinen. Beide Neuerungen aber — das gesteigerte Relief und die Einführung der Diagonalen —
weist auf Einflüsse der italienischen Kunst, namentlich des Michelangelo.

Fragen wir uns aber, ob die Porträthaftigkeit bei diesen Neuerungen gewonnen hat, so haben wir
darauf zweierlei Antwort: ja und nein. Gewonnen hat sie sicherlich durch die vollzogene Isolierung
der Figuren, die in der Handlungslosigkeit begründet ist und eine Subordination unter eine gemein-
same Handlung nun vollkommen ausschliesst, ferner durch die gesteigerte Körperlichkeit, Beweglich-
keit, Lebendigkeit. Aber von den eigentlichen Zielen der holländischen Porträtkunst — der Dar-
stellung des Gemüths — hat sich die Kunst Scorels hier noch weiter entfernt, als es bereits in den
nach dem Beschauer gewandten Köpfen des Haarlemer Bildes der Fall gewesen war. Das tastbar
Körperliche drängt sich nun allzu stark auf und auch die Augen treten so greifbar heraus, dass an einigen
Köpfen das Innerliche, Geistig-Beobachtende, die Aufmerksamkeit, dahinter fast völlig verschwindet.

Und wie in der Auffassung die specifisch holländische Aufmerksamkeit, so ist in der Composition
die specifisch holländische Freiraumdarstellung zu Schaden gekommen. Das Herausquellen der Köpfe
und Hände aus der Tiefe wirkt zwar raumversinnlichend, aber nur durch die cubische Erscheinung
der Figuren selbst, während der zwischen den Figuren befindliche Raum dem Beschauer jetzt weniger
zu Bewusstsein gelangt als angesichts des Haarlemer Bildes. Damit hängt es wohl auch zusammen,
dass die Deckung nun nicht mehr ausgereicht hat, um die hinteren Köpfe gegen die vorderen wirksam
genug zurückzuschicken, so dass alle in einer Ebene zu liegen scheinen.

Jan van Scorel war eben ein Bahnbrecher des Romanismus oder Manierismus in Holland. Er hatte
es empfunden, dass die holländische Kunst nun vor Allem in der Reobjectivierung der Figuren, der
Darstellung des Willens und der cubischen Dreidimensionalität das gegenüber den Italienern Ver-
säumte einholen müsse, bevor sie an die Fortsetzung ihrer specifischen Aufgabe — der Darstellung der
Aufmerksamkeit und des Freiraumes — denken konnte.

Das zweite der dem Jan van Scorel zugeschriebenen Utrechter Bilder mit Porträten der heiligen
Grabesbrüder (Fig. 6 und 7) enthält zwölf Figuren von Pilgern, die ihre Reise zwischen 1463 und 1525
zurückgelegt haben. Sind wir damit schon wenigstens um eines über die im vorigen Bilde genannten
Jahre hinausgekommen, obwohl daneben jetzt auch weit dahinter liegende Daten berücksichtigt er-
scheinen, so sagt uns das Bild selbst mit seiner neuerlich fortgeschrittenen Auffassung und Compo-
sition, dass es erst nach dem vorhin genannten entstanden ist.

Das Bild enthält abermals zwölf Figuren, von denen zwei (darunter der angebliche Scorel, vgl.
S. 88, Anm.) durch Uebermalung sehr entstellt sind. Einige Köpfe machen den Eindruck, als ob sie
 
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