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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0099
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Das holländische Gruppenporträt.

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Fig. 9. Jan van Scorel. Die Utrechter Jerusalemfahrer aus den Jahren 1525 bis 1535.
Utrecht, Museum Kunstliefde. — Rechte Hälfte.

nachträglich hinzugemalt wären; doch hat der Meister hier nicht, wie vorher, der Reihe nach Figur neben
Figur hingesetzt sondern zuerst die sieben Figuren der vorderen Reihe gemalt und die hinteren zu-
letzt hineingesetzt. Die Wirkung ist auch eine ganz offenbare: Vorder- und Hinterreihe trennen sich
nun wieder etwas wirksamer von einander und in die Haltung der Figuren ist trotz des Beharrens bei
der verticalen Axe eine grössere Abwechslung gekommen. Da wir hiemit die Erörterung der Fort-
schritte in der Composition ausnahmsweise vorangestellt haben, so sei im Anschlüsse daran gleich
auch das Uebrige, was davon zu sagen ist, bemerkt. Das gesteigerte Relief in einigen Köpfen und
Händen (man sehe nur die vordersten drei Figuren in Fig. 7) wird Niemandem entgehen. In den
Diagonalen, welche die Palmwedel beschreiben, scheint mir dagegen ein gewisses Bestreben nach
Parallelismus und Contrapost obzuwalten, das nach italienischem Vorbilde darauf abzielen würde, die
Figuren in der Ebene miteinander zu verbinden; aber als Nebendinge sind sie doch zu schwächlich, um
eine solche Wirkung entschieden zu erzielen, die übrigens der niederländischen Kunst in diesem Sta-
dium ihrer Entwicklung noch gar nicht recht genehm sein konnte.

Die Auffassung zeigt hier wiederum einen Fortschritt darin, dass nun schon die erdrückende
Mehrheit ■— zehn von den zwölf Köpfen — nach der Seite des Beschauers heraus gerichtet ist. Von
den zwei übrigen, die schräg in der gemeinsamen Richtung rechtswärts blicken, tritt der eine (der vor-
letzte links in Fig. 6) durch kleinere Dimensionen völlig zurück, während der andere (der dritte von
rechts in Fig. 7) die Linke in der Richtung seines Blickes von sich streckt und durch Zusammenlegen
des Daumens und Zeigefingers eine Geberde hervorbringt, die man als Begleitung einer Rede auffassen
möchte, ohne dass aber ein Zielpunkt derselben im Bilde sichtbar wäre; denn die zwei davorstehenden
Figuren verrathen kein Entgegenkommen und blicken vielmehr unverwandt auf den Beschauer. Der
Wechselverkehr, der damit seine einseitige Andeutung fand, kann also nur als ein symbolisches Mittel
zur Versinnlichung der Gemeinschaft gedeutet werden. — Der Betenden sind diesmal zwei, die nun
lebhaft auf den Beschauer hinsehen und damit den Symbolismus ihrer Andacht über jeden Zweifel hin-
aus beweisen.

Das dritte Bild enthielt einstmals neun Figuren; jetzt sind dieselben auf zwei Bilder zu fünf (Fig. 8)
und vier Figuren (Fig. 9) vertheilt; ihre Reisen fielen in die Jahre 1525 —1535. Dieses Bild stammt viel-
leicht mindestens nicht mehr zur Gänze von Scorels Hand, da die weibliche Figur, als letzte in der Reihe,
von anderer Hand gemalt scheint als die übrigen Figuren. Ferner fällt die überaus breite Pinselführung
auf, die namentlich der breitspurig vorgerückten mittleren Person in Fig. 8 ein ausserordentliches Relief
verleiht; der Hochmuth in den Zügen dieses Priesters lässt auch geradezu an italienische Auffassung
denken. Ferner ist der drittletzte (Fig. 9) nicht zu übersehen, da er nicht allein en face auf den Beschauer
 
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