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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0100
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Alois Riegl.

Fig. 10. Antony Mor. Die Utrechter Jerusalemfahrer aus dem Jahre 1541.
Utrecht. Museum Kunstliefde.

herausblickt sondern ihm zugleich auch mit der geschlossenen Linken einen sternförmigen Gegenstand
entgegenstreckt. Einen so directen Verkehr mit dem betrachtenden Subject hatte die niederländische Kunst
im Einzelporträt gelegentlich schon im XV. Jahrhundert zur Darstellung gebracht. In der italienischen
Kunst war er im Historienbild seit dem Ende des Quattrocento allmälig gebräuchlich geworden, bis ihn
Correggio (z. B. am heil. Geminian in der Madonna des heil. Sebastian zu Dresden) etwa gleichzeitig mit
Scorels Gruppenporträten zu einem Hauptmittel der subjectivistischen Wirkung erhoben hat. Seine
Einführung in das niederländische Gruppenporträt würde auf Scorel sehr gut passen, da wir ihn die
Voraussetzung dafür — die Kopfwendung gegen den Beschauer, die sich zwar vereinzelt schon bei Jan
van Eyck findet aber dem XV. Jahrhundert stets eine Ausnahme geblieben ist und auch im Johanniter-
porträt des Geertgen nicht vorkommt, — im Haarlemer Bilde gleich an mehreren Figuren zur An-
wendung bringen und in den zwei früheren Utrechter Bildern stetig steigern sehen.

Damit ist der Kreis der Gruppenporträte, die mit voller, beziehungsweise annähernder Sicherheit
auf Jan van Scorel bezogen werden können, geschlossen und es erübrigt uns noch, die Chronologie
derselben zu erörtern. Eine genaue Datierung trägt zwar keines derselben; aber die Daten der Pilger-
reisen ermöglichen es uns, das an erster Stelle betrachtete unter den Utrechter Bildern nach dem Jahre
1524, das zweite nach 1525, das dritte nach 1535 anzusetzen. Das Haarlemer Bild kann nun kaum vor
1525 gemalt sein, da der Meister erst in diesem Jahre aus Utrecht, vor den daselbst ausgebrochenen
inneren Wirren flüchtend, nach Haarlem gekommen ist; da er anderseits spätestens 1528 wieder nach
Utrecht zurückgekehrt war, so haben wir die Entstehung des Haarlemer Bildes in den Beginn der
zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre oder doch kurz nachher zu setzen. Das hiedurch gegebene Beispiel
mochte die Utrechter Grabesbrüder zur Nachahmung gereizt haben; es Hessen sich zuerst die jüngsten
Pilger von 1520—1524 und hierauf auch solche aus viel älteren Jahrgängen porträtieren. Da diese
Bildnisse wohl auch noch in den Zwanzigerjahren entstanden sein dürften, so bleibt der Unterschied
zwischen ihnen und dem Haarlemer Bilde ein erstaunlicher. Man möchte dazwischen die italienische
Reise vermuthen, wenn nicht dagegen stünde, dass Scorel selbst als Pilger auf dem Haarlemer Bilde
genannt ist und somit die Reise zur Zeit, als er das Bild gemalt hat, schon hinter sich hatte. Jedenfalls
steht die Kunstgeschichte noch vor der dringenden Aufgabe, den Entwicklungsgang dieses bahnbrechen-
den Romanisten in den nördlichen Niederlanden durch vergleichende Heranziehung aller übrigen er-
haltenen Bilder von seiner Hand zu beleuchten. Denn erst dann wird man über seinen Antheil an den
Utrechter Gruppenporträten mit vollkommener Sicherheit urtheilen können, so wahrscheinlich sie
 
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