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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0126
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Alois Riegl.

Zweite Reihe
von Gruppen-
porträten der
ersten symboli-
stischen Periode,
1554-1566.

die Vermuthung aufkommen, dass über, d. h. hinter den Figuren eine Landschaft angebracht gewesen
ist. Allerdings befindet sich auf diesem leeren Grunde, etwas rechts von der Mitte, heute noch schwach
lesbar, das Datum, und da dieses kaum in der Landschaft angebracht gewesen sein kann, möchte man
doch eine feste Abschlusswand, also einen Binnenraum, annehmen; anderseits wäre aber immerhin
denkbar, dass die Datierung auf einem Pfeiler in der Landschaft geschrieben stand, wofür sich aus den
Fünfzigerjahren des XVI. Jahrhunderts Belege finden werden. Eine Reinigung des gegenwärtig ganz
trüben und zerstörten Hintergrundes könnte über diesen Punkt vermuthlich Klarheit schaffen.

Es erübrigt uns somit nichts, als die Figuren für sich in Betracht zu ziehen. Dieselben sind zum
ersten Male nicht in horizontalen Reihen über (hinter) einander aufgestellt, gewähren aber als ganze
Gruppe nichtsdestoweniger einen objectiv-gesetzlichen Eindruck. Die Composition von Reihen aus
verticalen Theilgliedern liegt eben auch diesem Gruppenporträte zu Grunde; nur sind die Reihen nicht
horizontal sondern diagonal gezogen, nach dem bekannten decorativen Schema des Rautennetzes oder
der versetzten Reihung. Man erkennt sofort, dass wir hier blos eine consequente Fortsetzung des im
Schützenstücke von 1532 Begonnenen vor uns haben; die Anordnung der centralen Figur mit ihren
beiden Vordermännern ist überhaupt auf beiden Bildern die gleiche. Die Tendenz zur Verschiebung
der Theilglieder in den Reihen, die wir schon 1532 beobachtet hatten und die selbst im Bilde des
Cornelis Teunissen von 1533 wenigstens latent vorhanden scheint, hat offenbar seither weitere Fort-
schritte gemacht und selbst in der obersten Scheitellinie Unregelmässigkeiten zugelassen, die es auch
erklärlich machen, dass nun die Köpfe nicht mehr an den oberen Rand des Bildes anstossen dürfen.
Anderseits sind die Figuren namentlich in der rechten Hälfte auch nach der Breite weniger eng an-
einandergepresst als im Bilde von 1532 und lassen mehr vom Oberkörper sehen. Die einzelnen Köpfe
verrathen in noch höherem Grade als im Bilde von 1532 das Bestreben, ihre ausladenden Wölbungen
gegen den Beschauer hin durch Vermehrung der Modellierungsschatten zu betonen, d. h. sich als raum-
füllend zu präsentieren. Trotzdem bleibt das letzte Ziel des Porträtisten nicht die räumliche Ausdehnung
der materiellen Form sondern der Gemüthsausdruck, der sich in dem beobachtend nach aussen ge-
richteten Blicke erschliesst. Namentlich der moderne Beschauer wird immer in Versuchung sein, diesen
Figuren nur in die Augen und allenfalls noch auf den Mund zu sehen. So gleichgiltige Köpfe, wie sie
sich vereinzelt selbst unter denen des Dirk Jacobsz von 1532 finden, kommen hier fast gar nicht
vor; ja einige darunter, wie z. B. derjenige rechts oben in der Ecke, mit seiner leichten Neigung, dem
ruhig prüfenden Blicke und dem vorgestossenen Munde lassen bereits die Glanzzeit der holländischen
Stimmungsporträtmalerei des XVII. Jahrhunderts vorausahnen.

Wer ist nun der Meister dieses Bildes? Am liebsten möchte man Dirk Jacobsz selbst dafür an-
sehen, der damit einerseits auf der eingeschlagenen Bahn fortgeschritten, anderseits trotz zunehmender
Plasticität der Köpfe doch, soweit dies überhaupt möglich war, zur Vollkommenheit seiner Porträte
von 1529 zurückgekehrt wäre. Eine Entscheidung auf Grund der Vergleichung der Malweise beider
Bilder vermag ich nicht zu fällen; denn das Bild in St. Petersburg kenne ich nicht hinlänglich aus
eigener Anschauung und auch dasjenige von 152g war zur Zeit meiner beiden Besuche im Rijksmuseum
nicht aufgestellt und nur flüchtig und mangelhaft im Depot zu sehen, seine Vergleichung mit dem
Bilde von 1534 vollends unmöglich. Die Photographie lässt zwar die Hände etwas derber erscheinen,
als wir sie bei Dirk Jacobsz anzutreffen gewöhnt sind; in den Köpfen ist aber nichts zu entdecken, was
dem genannten Meister nicht zugeschrieben werden könnte. Dr. J. Six (a. a. O., Seite 106) hat die Ver-
muthung geäussert, dass das Bild von Allart Ciaessen gemalt sein könnte, von dem van Mander be-
richtet, dass er verschiedene Porträte für die Doelen angefertigt habe. Selbst wenn sich diese Zuweisung
durch künftige Funde bestätigen sollte, bleibt es unumstÖssliche Thatsache, dass das Bild von 1534
nach Auffassung und Composition sich auf das Engste an die von Dirk Jacobsz gefundene Lösung des
neuen Problems angeschlossen hat.

Dass einstmals viel mehr Schützenstücke in Amsterdam vorhanden gewesen sein müssen, als heute
im Rathhause und im Rijksmuseum daselbst zu finden sind, geht schon aus der Liste derselben hervor,
die G. Schaep im Jahre 1653 angefertigt hat; und auch die Liste des van Dijk vom Jahre 1758 verräth
 
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