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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0127
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Das holländische Gruppenporträt.

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noch manchen Ueberschuss über den heutigen Bestand.1 Wenn wir nun unter den erhaltenen älteren
Schützenstücken zwischen 1534 und 1554 kein datiertes mehr antreffen und auch kein undatiertes in
diese Zeit zu versetzen zwingende Veranlassung haben, so werden wir durch den Ausweis jener Listen, die
ebenfalls nach 1534 (oder 1535) erst wieder zum Jahre 1551 ein datiertes Stück verzeichnen, zu dem nahezu
gesicherten Ergebnis geführt, dass zwischen der Mitte der Dreissiger- und dem Beginne der Fünfziger-
jahre in der Pflege und Entwicklung des Gruppenporträts ein Stillstand eingetreten ist. Derselbe muss
natürlich seine Ursache gehabt haben und, wenn wir erst einmal ein klares Bild von der holländischen
Malerei jener Zeit besitzen werden, dürfte sich wahrscheinlich auch feststellen lassen, welches Zeit-
problem die Aufmerksamkeit der Maler und Besteller vorübergehend vom Gruppenporträt abgezogen
und auf andere Gattungen hingelenkt hat; heute möchte man aber nicht einmal eine Vermuthung
darüber wagen.

Die zweite zusammenhängende Reihe von Amsterdamer Schützenstücken, die also mit den Fünf-''
zigerjahren anhebt, erstreckt sich bis zum Jahre 1566; dann folgt abermals eine Pause, die sich an-
scheinend schon durch äusserliche Begebenheiten — den Glaubens- und Unabhängigkeitskrieg gegen die
Spanier — leidlich erklären lässt. Erst mit den Achtzigerjahren setzt wieder eine zusammenhängende
Entwicklung ein, die dann keine weitere Unterbrechung mehr erfahren hat; diese bietet aber in Auf-
fassung und Composition soviel Neues, dass wir von da an eine selbständige zweite Periode anzusetzen
haben werden, zu der jedoch die Bilder der zweiten Hälfte der ersten Periode in vielfacher Hinsicht
den normalen Uebergang bilden. Wiewohl nun bei Schaep und theilweise auch noch bei van Dijk drei
Stücke der Voetboogsgilde aus den Jahren 1551 —1553 genannt werden, lässt sich keines der erhaltenen
damit identificieren; das älteste dieser Periode, das wir heute kennen, ist dasjenige der Rotte E des
Voetboogsdoelen aus dem Jahre 1554 (Fig. ig), jetzt auf dem Rathhause, wo es in einem Gemache zu-
sammen mit dem besprochenen Stücke des Cornelis Teunissen von 1533 aufgehängt ist. Eine Meister-
signatur ist darauf nicht zu sehen, doch galt es bis vor Kurzem allgemein für ein Werk des Cornelis
Teunissen.2

Wir haben da die Bildnisse von 22 Armbrustschützen. Die drei streng horizontalen Reihen, in Uas
denen die überwiegende Mehrzahl der Köpfe zusammengestellt ist, lässt nicht allein den Zusammenhang Schutzcnstuck

eines unbekann-

tnit den Bildern der früheren Periode auf den ersten Blick klar hervortreten sondern die Composition ten Meisters
zunächst sogar noch alterthümlicher und objectivistischer erscheinen als selbst im ältesten Bilde des vom Jahre I554'
Dirk Jacobsz, wo an Stelle der primitiven Reihung bereits eine centralistische Zusammenfassung getreten
war. Anderseits verrathen aber die bärtigen Köpfe, gewisse Actionen von ganz momentanem Charakter,
endlich das Aussehen der Landschaft im Hintergrunde, dass wir es da mit einem entschiedenen Vorstoss
in der Richtung des Subjectivismus zu thun haben. Doch untersuchen wir wieder den Thatbestand in
der bisher befolgten systematischen Weise. Da ergibt sich schon für die Auffassung dieses Schützen-
bildes, dass zur Versinnlichung der Einheit dieser 22 Personen nicht allein der Symbolismus in der
Art des Dirk Jacobsz benützt wurde sondern auch das genremässige Motiv des Liebesmahles, wie es
nachweislich Cornelis Teunissen zuerst in die Malerei eingeführt hatte, Aufnahme gefunden hat. Die

1 Eine nützliche Zusammenstellung der Daten dieser zwei Listen, soweit sie sich auf die Gruppenporträte der drei
Doelen (Yoetboogs-, Handboogs- und Kloveniersdoelen) aus der Zeit vor den Glaubenskriegen beziehen, mit den entsprechen-
den Verzeichnissen in Scheltemas Beschrijving und dem Katalog des Rijksmuseums hat Dr. J. Six als Anhang zu seinem
citierten Aufsalz in Oud Holland XIII, 101 —[ 08 geliefert.

2 Die Höhe, in welcher dieses Bild gegenwärtig zusammen mit Teunissens Stück von 1533 in einem Vorzimmer des
Bürgermeisterbureaus im Rathhause zu Amsterdam hängt, erschwert schon an sich ein genaueres Studium; überdies ist das
in der Färbung gleich den meisten älteren Schützenstücken ziemlich monotone Bild offenbar stark durch Schmutz verunreinigt
und getrübt. Infolge dessen lässt auch die Photographie, die mir zur Verfügung steht, sehr Vieles im Unklaren, das in der
kurzen Frist, die mir zur Besichtigung des Bildes verstattet war, zu enträthseln nicht möglich gewesen ist. Da es sich um eines
dw für die Gesammtentwicklung bedeutungsvollsten Schützenstücke handelt, wäre seine Uebertragung ins Rijksmuseum und ent-
sprechende Reinigung dringend zu empfehlen. Das Gleiche gilt natürlich von dem Bilde des Teunissen von 1533, das, wie
sich zeigen wird/überhaupt das einzige gesicherte Schützenstück dieses Meisters ist. Schützenstücke aus dem XVII. Jahrhundert
als Tauschobjecte für blosse decorative Ausstattung, auf die es bei den Bildern im Rathhause ja einzig abgesehen ist, würden
Slch im Rijksmuseum in Fülle finden.

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