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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0128
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Alois Riegl.

einfache gleichmässige Reihung der Figuren erscheint nämlich rechts unten in der Ecke durchbrochen;
wir gewahren hier ein kleines Tischchen von geringer Tiefe, auf dem der Deckelkrug in der Hand
eines Schützen fest aufruht, aber zugleich auch das Buch des Schriftwarts Platz gefunden hat; hinter
dem Tischchen hält Einer in der Rechten einen hohen Pokal mit birnförmiger netzübersponnener Cuppa,
ein Zweiter ganz links in der mittleren Reihe ein Kelchglas. In den Händen anderer glaubt man Ess-
waren zu bemerken: so beim Schützen links unten in der Ecke einen Häring, bei seinem zweiten Nach-
barn einen Apfel; doch lässt die Reproduction nach dieser Richtung keinen sicheren Schluss zu. Zweifel-
los ist blos die Einführung von Trinkgefässen, die an den Verbrüderungstrunk bei den Liebesmahlen ge-
mahnen. War aber bei Cornelis Teunissen mit einer grossen Tafel gewissermaassen das allgemeine
Substrat der Mahlzeit selbst dargestellt, so hat sich der Meister von 1554 darin mehr auf blosse An-
deutungen beschränkt: war Teunissen 1533 geradewegs in der Richtung auf das Genrebild losgegangen,
so ist sein Nachfolger (soferne das Bild nicht, wie man will, von ihm selbst stammt) wieder auf eine
strengere symbolische Auffassung zurückgegangen. Aber die Einführung der Speisen und Getränke unter
die Symbole, die Dirk Jacobsz durchaus abgelehnt hatte, wurde fortan zunächst nicht mehr preis-
gegeben. Dem Bilde von 1533 gegenüber bedeutet sie allerdings einen Rückschritt, Dirk Jacobsz gegen-
über aber einen Fortschritt nach der subjectivistischen Richtung; und die Art und Weise, in welcher
diese Symbolik hier ins Werk gesetzt wurde, — z. B. die Darstellung des transitorischen Momentes, in
welchem der Krugdeckel, dem Fingerdruck des Schützen gehorchend, im Aufklappen begriffen ist, —
bezeichnet schlankweg einen Fortschritt sogar über Teunissens Bild von 1533 hinaus. Nebenden Sym-
bolen des Liebesmahles begegnen aber auch zahlreiche andere in dem Bilde. Das Auflegen der Hände
tritt zwar auffallend zurück; man wird kaum fehlgehen, wenn man dies mit einem allgemeinen Streben
nach lauteren, packenderen, äusserlicheren Actionen in Verbindung bringt, wofür der Gestus des Hand-
auflegens entschieden zu intim erscheinen mochte. Dagegen sehen wir den Gestus der Fingerzeige fest-
gehalten; wie es scheint, sind blos die drei Officiere das Ziel derselben, denn alle drei, auf die gezeigt
wird, befinden sich vorne in der untersten Reihe. Ausserdem begegnen aber in den Händen der
Schützen zahlreiche Gegenstände, die wir bisher nicht angetroffen hatten und deren symbolische Be-
deutung heute wohl nur der Specialforscher über das damalige Schützenwesen in Amsterdam festzu-
stellen vermöchte: ausser Armbrust und Pfeil, die ohne weiters verständlich sind, trifft man einen grossen
Vogel (Papagei?), der einem Jagdfalken gleich auf der Hand eines Schützen sitzt, eine verzierte Schüssel,
eine metallene Röhre u. s. w. Zum Theil verdeckt und fast durchwegs sowohl im Original als auf der
Photographie getrübt und verwischt, entziehen sie sich hier einer genaueren Bestimmung. Nur von
Zweien muss besondere Erwähnung gethan werden. Der eine ist der Schriftwart, der dem Beschauer
mit sichtlichem Eifer seine Feder zeigt, indem er sich dabei vorbeugt, um das Ziel seiner Aufmerksam-
keit schärfer zu sehen; zu gleicher Zeit legt er aber auch den Zeigefinger der Linken auf das vor ihm
aufgeschlagene Buch. Durch dieses doppelte Vorneigen und das interessierte Schauen gewinnt die Figur
ein überaus lebendiges Aussehen, das offenbar beabsichtigt gewesen ist und den Symbolismus in einer
noch viel stärkeren Verquickung mit einer subjectiv-momentanen Handlung zeigt wie der davor befind-
liche Schütze mit der Deckelkanne. Die Erscheinung des Zweiten ist noch auffälliger. Es ist die Figur
rechts oben in der Ecke, die, wie es scheint, hinter der die Gesammtgruppe nach rückwärts abschliessen-
den Schranke steht und sich mit der linken Hand auf die Brüstung der Schranke stützt. Dieser Mann
hält den Kopf schief, verzieht den breiten Mund zu einem grinsenden Lachen, das die Zähne sehen
lässt, und schielt mit den Augen nach einem Käuzchen auf seiner Schulter, das seinerseits nach der
Miene seines Trägers lugt. Man ist so überrascht, eine solche Figur in einem Schützenstücke vorzu-
finden, dass man sie für einen Schalksnarren, gedungenen Spassmacher halten möchte, der ausserhalb
der Schützengemeinschaft aber als ein nothwendiger und regelmässiger Theilnehmer ihres Gemein-
lebens Aufnahme gefunden hätte, ähnlich wie auf den späteren Regentenstücken in der Regel der Diener
seinen Platz bekam. Aber das Abzeichen in Form einer silbernen Armbrust am Mantel der Figur lässt
doch nicht daran zweifeln, dass wir es mit einem Schützen zu thun haben. Sei nun seine symbolische
Bedeutung welche immer, so bleibt doch zweierlei höchst merkwürdig: erstens die Aeusserung eines
 
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