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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0131
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Das holländische Gruppenporträt.

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baren Dinge zusammen als eines Ganzen. Aus dieser Absicht hat man auch die Aufnahme römischer
Architekturen zu verstehen; denn nicht um römische Motive als solche handelte es sich dem nordischen
Maler sondern um formklare linienbegrenzte Einzelheiten in den Landschaften, an denen er die von
der Zeit nun geforderte subjectivistisch-perspectivische Raumerscheinung demonstrieren sollte, — eine
Aufgabe, für deren Lösung nicht blos Bäume sondern auch die an Horizontalen armen nordischen
Bauwerke nicht entfernt so geeignet waren wie die antiken Bauten, deren perspectivische Projectionen
er obendrein fertig aus Stichen entnehmen konnte. Wiewohl nun diese linienperspectivische Aufgabe
dem Maler die wichtigere gewesen ist, muss er doch auch schon eine bestimmte Ahnung gehabt haben,
dass Hell und Dunkel die Hauptmittel der zukünftigen Raumbehandlung bilden würden; denn er hat
lrnmer Bedacht darauf genommen, dass das vordere Motiv durch dunklere Färbung das unmittelbar
darunterliegende heller gefärbte zurückschiebe.

Auch an den Figuren sind noch einige Neuerungen zu beobachten, die uns nicht minder ein-
dringlich belehren, dass die bildende Kunst in den Niederlanden damals im Begriffe stand, sich neue,
wenngleich erst noch latent empfundene Probleme zu stellen. Zum ersten Male sehen wir da in einem
Gruppenporträt bärtige Köpfe auftreten, neben denen allerdings die bartlosen zunächst noch über-
wiegen. Die Bartlosigkeit wirkt entschieden in objectiverem Sinne, da sie den Kopf in klarerer Be-
grenzung und Isolierung zeigt; sie geht daher in der Regel parallel mit der Uniform, d.i. der typischen
Art der Kleidung. Der Bart hingegen lässt gleich dem Kraushaar die Umrisse des Kopfes gleichsam
verdampfen und dadurch mit der Umgebung in weichere Verbindung treten; er gestattet ferner einen
verschiedenen Schnitt und fördert mit alledem die Subjectivität der momentanen Zufallserscheinung.
Wenn wir nun gegen die Mitte der Fünfzigerjahre sowohl den Bart in die Mode eindringen als auch
die Uniform zu Gunsten einer willkürlicheren und abwechslungsreichen Privatkleidung nach Belieben
jedes Einzelnen zurücktreten sehen, so werden wir darin sowohl Symptome einer gesteigerten Tendenz
auf äussere Abwechslung als auch Zeugnisse einer erwachten Neigung für lockerere, optisch-subjectivere
Bildung der bisher hart-tastbar gebildeten Umrisse (siehe dagegen noch die Köpfe von 1534) erblicken
dürfen, wofür wir genaue Parallelen einerseits in der ausladenden Modellierung dieser Köpfe, anderer-
seits in dem veränderten Charakter der Landschaft bereits kennen gelernt haben. Zum Schlüsse sei
die Aufmerksamkeit auf ein nebensächliches Motiv gelenkt, das bei aller Unscheinbarkeit doch das
werdende Stilbegehren der damaligen Zeit drastisch kennzeichnet. Es sind die fein gezahnten Kanten
gemeint, mit denen die weissen Halskrägen der Schützen besäumt sind. Der Maler hätte sich wohl
nicht die Mühe gegeben, sie mit miniaturartiger Feinheit wiederzugeben, wenn man nicht auf ihre
künstlerische Function Gewicht gelegt hätte. Diese Function kann aber auch keine andere gewesen
sein, als die Umrisse, die infolge der hellen Färbung des Kragens besonders hart erscheinen mussten,
durch Auszahnung aufzulockern und mit ihrer Umgebung zu verbinden.

Die Zuweisung des Bildes an Cornelis Teunissen1 scheint sehr plausibel, wenn man das Bild
im Rathhause mit dem daneben hängenden signierten Bilde dieses Meisters von 1533 vergleicht. Es
vcrrath sich in beiden das gleiche unruhige, fast neuerungssüchtige Naturell, dieselbe sozusagen ani-
malische Derbheit der Köpfe und Hände und dabei doch ein offener Sinn für die Bedeutung des
Blickes als Anzeigers des individuellen Gemüthscharakters. Für die vorhandenen Abweichungen gäbe
die dazwischen liegende Pause von 21 Jahren hinreichende Erklärung. Nun hat aber kürzlich E. W.
Moes2 die UnWahrscheinlichkeit nachgewiesen, dass der genannte Meister im Jahre 1553 noch am Leben
gewesen wäre. Eine Entscheidung an der Hand der Originale selbst hingegen möchte man doch erst
Wagen, wenn man die Bilder in gereinigtem Zustande und in der Nähe miteinander vergleichen
könnte.

1 Im XVIII. Jahrhundert galt es als Werk des Dirk Cornelissen, im XIX. zeitweilig (bei Scheltema) als Arbeit des Dirk
Jacobsz. Letzteres ist entschieden abzuweisen, da wir ganz abweichende Bilder von ihm auch aus den Fünfziger- und Sechziger-
iahren kennen.

2 E. W. Moes, De Amsterdamsche boekdrukkers en uitgevers in de sestiende eeuw, I. Amsterdam, C. L. van Langen-
den 1900, Seite 196 f.
 
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