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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0134
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Alois Riegl.

In der Composition erscheint die centrale Symmetrie gegenüber dem Vorbilde von 1529 eher noch
gesteigert und in der unteren Reihe sind die Figuren sogar in höherem Maasse in eine Ebene gedrängt
als bei Dirk Jacobsz, wo sie sich nach vorne loszuringen trachteten. Nur in der oberen Reihe sind
zwei Schützen excentrisch gewendet und dadurch ist eine lebhaftere Bewegung als bei Dirk Jacobsz her-
vorgebracht, die aber, wie dort unmittelbar über der horizontalen Scheitellinie dieser Schützen durch
den Rahmen abgeschnitten, niedergedrückt erscheint. Trotz all diesem Objectivismus ist ein Vorwärts-
dringen der Tendenz auf räumliche Erscheinung namentlich an den Figuren als solchen nicht zu
verkennen. Den Köpfen und Händen ist durch reichliche und sorgfältige Schattierung wirksames
Relief verliehen, so dass sie sich nach vorne gegen den Beschauer deutlich raumfüllend präsentieren.
Die Bärtigen sind nun schon Majorität geworden, die gezahnten Krägen sind jetzt breiter und schliessen
an den jüngeren Leuten den ganzen Hals bis zum Kinn hinauf ein. Am deutlichsten erkennt man aber
an der Ausstattung von Schranken und Wand, welche Fortschritte inzwischen das Begehren nach einer
Ausgleichung zwischen Figur und umgebendem Räume im Sinne der Erfahrungen des subjectiven
Sehens gemacht hat. Die ehemalige Vorderschranke ist nun mit dem Tische der Teunissen'schen Mahl-
zeit von 1533 verquickt worden; denn es ist in der That ein Tisch mit mäanderverzierter Platte (oder
Teppich?), was wir im Vordergrunde gegen den Beschauer hin sich erstrecken und durch den Rahmen
abgeschnitten sehen. Der Schütze in der Ecke rechts stellt seine Kanne darauf, der Capitän sein Pistol
und zwei andere lehnen die Arme darüber, wobei reichliche Schlagschatten die Figuren mit der Tisch-
platte verbinden. Die trennende Mittelschranke ist so niedrig gehalten, dass sie nicht mehr gleichsam
einen ruhigen Reliefgrund für die Figuren der unteren Reihe bildet sondern in der Brüstung von allen
diesen Köpfen überschnitten wird. Die Hintergrundwand endlich ist mit einer Tapete verkleidet, die
ein geometrisches Rautenmuster mit dem Rottenbuchstaben F im unendlichen Rapport zeigt; was von
diesem Muster durch die davor postierten Figuren der oberen Reihe nicht verdeckt ist, erscheint in
solcher Genauigkeit und Vollkommenheit wiedergegeben, wie es ein subjectiver Betrachter in Wirk-
lichkeit wahrnehmen konnte. Also wiederum die Berücksichtigung der momentan-subjectiven Erschei-
nung der einzelnen, tastbar begrenzten Dinge an und für sich, in Form und Zeichnung; was noch fühl-
bar abgeht, ist die optische Verbindung der Dinge mit dem Lufträume.

Die Betrachtung der Composition enthüllt uns somit die gleichen geflissentlich gesteigerten Gegen-
sätze, wie wir sie in der Auffassung wahrnehmen konnten: einerseits noch strengere Symmetrie als
bei Dirk Jacobsz, anderseits ein lebhaftes Herausspringen der einzelnen Köpfe im Relief und wirksames
Hervorheben der umgebenden Dinge in ihrem räumlichen Zusammenhange mit den Figuren. Zu dem
gleichen subjectivistischen Zwecke dient die Abwechslung in den Costümen, die hier in geradezu auf-
fallender Weise die Uniform verdrängt, ferner die lebhafte Localfärbung an Stelle der Monotonie
der älteren Schützenstücke. Das Roth, das früher geradezu gemieden wurde, tritt jetzt in leuchtender
Fülle auf den Aermeln des Capitäns unten und im Muster der Tapete oben auf.

Hienach kann an dem Fortschritte, den das Bild gegenüber demjenigen von 1529 bezeichnet, nun
kein Zweifel mehr übrig bleiben. Der Historiker wird also damit zufrieden sein; anders aber der moderne
Beschauer vom Standpunkte des heutigen künstlerischen Geschmackes. Diesem wird das Bild von 1529
trotz seiner höheren Alterthümlichkeit sympathischer erscheinen; denn es trägt nicht den Stempel des
Widerspruches in sich. Namentlich das starke Relief der Köpfe im engen Räume wird dem Beschauer des
Bildes von 1557 störend erscheinen, wogegen die flacheren Köpfe von 1529 mit ihrer anspruchsloseren Pla-
stik sich selbst in die noch weniger als 1557 berücksichtigte räumliche Umgebung harmonischer einpassen.

Das Bild von 1557 wurde im Rijksmuseum dem Cornelis Teurfissen zugeschrieben, bis kürzlich
E. W. Moes, wie schon oben erwähnt, die Unwahrscheinlichkeit dessen aus äusseren Gründen nach-
gewiesen hat. Dieses Ergebnis wurde umso bereitwilliger aufgenommen, als man sich niemals den
Schwierigkeiten verschliessen konnte, die einer Vereinigung zweier so verschiedener Bilder wie jene
von 1533 und 1557 in das Werk eines und desselben Meisters entgegenstanden.

Der gleiche Meister, wer immer es gewesen sei, hat im Jahre 1559 die Rotte B der Voetboogs-
gilde gemalt; das Bild hängt jetzt unter Nr. 14^8 im Rijksmuseum. Die 21 Figuren sind in drei
 
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