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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0138
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Alois Riegl.

theilnimmt und die gleichwohl keinen symbolischen Charakter trägt. Es hat in der That den Anschein,
als ob da eine momentane Scene aus dem Alltagsleben der Schützen an einem betrachtenden Subject
vorüberzöge. Dieses Gruppenporträt ist daher auch das erste, das unserer modernen Auffassung in
höherem Grade entgegenkommt.

Es wäre aber gefehlt, darin wirklich dasjenige zu erblicken, was der moderne Beschauer zu sehen
vermeint: einen Ausschnitt aus einer vorübermarschierenden Truppe. Der prächtige Schütze links von
dem Inschriftpfeiler, der die Flinte geschultert trägt, ist allerdings geeignet, einen solchen Eindruck zu
verstärken; denn schon allein die schräge Linie des Gewehres will den Beschauer in die Richtung der
Vorwärtsbewegung mitreissen. Aber andere Schützen halten ihre Büchsen in der bisherigen Weise bei
Fuss und abermals andere zeigen überhaupt keine Waffe sondern symbolische Gegenstände und darunter
namentlich Esswaren (Häring) und Trinkgefässe, die man nicht auf einem Marsche sondern allenfalls
beim Liebesmahl in die Hände nimmt. Endlich lässt die auf dem Signierungszettel zu lesende Inschrift:
Vreede Eendratigheidt behaeght Gods Maiesteid mit ihrer Betonung der Eintrachtsliebe keinen
Zweifel darüber, dass die Einheit der Gruppe im letzten Grunde doch durch symbolisch-objectivistische
Mittel hergestellt erscheinen sollte. Nur den Widerspruch zwischen dieser Einheit und der Zersplitterung
durch die zahlreichen Symbole trachtete Dirk Jacobsz dadurch auszugleichen, dass er erstens die
Zahl der Symbole verminderte (namentlich durch einseitige Vermehrung der Waffen) und sodann —
worin wir eben die grundsätzliche folgenschwere Neuerung erblicken durften — einen gemeinsamen
Willensimpuls zur Darstellung brachte. Wenn nun auch diese seine Absicht einen neuen entschiedenen
Vorstoss in subjectivistischer Richtung bedeutet, so hat doch Dirk Jacobsz anderseits Vieles gethan, um
den objectivistischen Charakter des Gruppenporträts nicht verloren gehen zu lassen: einerseits durch
Einfügung jener dem gemeinsamen Zuge widerstrebenden Figuren, anderseits durch die Symbole, auf
die er wohl nicht zufällig gerade durch die vordersten Figuren des Zuges mit Fingerzeigen die Auf-
merksamkeit des Beschauers hinlenken lässt. Aber nicht allein in der Bewegung der Oberkörper sammt
den Köpfen sondern auch in derjenigen der Augen verräth sich das gleiche Bestreben auf Vereinheit-
lichung durch annähernd gemeinsame Impulse. Von Anbeginn war bei Dirk Jacobsz, zum Unter-
schiede von Teunissen und den meisten Mitstrebenden auf diesem Gebiete (einerseits das Bild von
1534, anderseits den Meister von 1557 ausgenommen), die Eigentümlichkeit zu beobachten, dass die
einzelnen Schützen nicht mit gesuchter Abwechslung nach rechts oder links in der Diagonale, das
heisst unter sehr spitzem Winkel mit der Bildebene, herausschauten sondern ihre Augen immer mehr
oder minder annähernd unter geradem Winkel zur Bildebene herausrichteten. Die Folge davon war ein-
mal eine grössere Intimität des im Blicke versinnlichten Gemüthsausdruckes, die durch lebhaftere äussere
Bewegung verscheucht worden wäre und dem tief holländischen Kunstwollen des Dirk Jacobsz einfach
unumgänglich schien; und sodann namentlich, dass der Blick seiner Figuren (mit alleiniger Ausnahme
der Flügelmänner in den äussersten Ecken, aber auch nicht immer) dorthin fiel, wo der Beschauer des
Bildes zu suchen ist. Es war zwar —■ wie schon früher betont wurde —■ noch nicht ein einziges be-
schauendes Subject angenommen; denn die Blicke der Schützen sammeln sich keineswegs in einem
betrachtenden Augenpaar sondern setzen ihrer fast so viele voraus, als Schützen vorhanden sind. Aber
alle diese Augenpaare liegen doch in verhältnismässig engem Räume beisammen, während die Ziel-
punkte der Figuren der übrigen Meister nahezu über einen Halbkreis von 180 Grad verstreut sind.
Damit ist aber eine unverkennbare Tendenz auf Vereinheitlichung in zweierlei Beziehungen gegeben:
erstens auf Vereinheitlichung des betrachtenden Subjects, zweitens auf Vereinheitlichung der inneren
psychischen Bewegung: der Aufmerksamkeit.

In der zweiten Periode haben wir nun den Meister von 1557, der sich in anderen Beziehungen
durch Steigerung äusserlicher Symptome des Subjectivismus dem Teunissen näherte, in der Gleich-
mässigkeit der Blickrichtung sich dem Dirk Jacobsz zuneigen gesehen. Es muss also in der gährenden
Entwicklung der Fünfzigerjahre auch eine Tendenz auf Vereinheitlichung der Blickrichtungen all-
gemein lebhaft geworden sein. Unter solchen Umständen versteht man, dass der erste Vertreter dieses
Kunstmittels in seiner Anwendung nun einen Schritt weiter gegangen ist. Vergleicht man das Bild
 
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