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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0139
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Das holländische Gruppenporträt

Fig. 23. Schützenstück des Dirk Jacobsz vom Jahre 1363.
Amsterdam, Kijksmuseum.

von 1563 mit demjenigen von 1532, so bemerkt man sofort, dass der Umkreis der Zielpunkte der Auf-
merksamkeit ein noch beschränkterer geworden ist; bei einigen Schützen möchte man sogar (wohl
fälschlicherweise) vermuthen, dass sie nach einem und demselben Punkte blicken. Diese strengere Ver-
einheitlichung der Blickrichtung hängt nun auch aufs Engste mit der Vereinheitlichung der Bewegungs-
richtung zusammen; denn die erwähnte Marschrichtung von links nach rechts brachte die gleiche Blick-
richtung von selbst mit sich und die sich entgegenstemmenden Figuren blicken nicht in entgegen-
gesetzter Richtung nach links sondern geradeheraus, so dass sich ihre Blickrichtungen mit denen der
ersteren nicht unter scharfen Winkeln kreuzen sondern annähernd im gleichen Punkte zusammen-
treffen. Ich betone aber »annähernd«; denn ein Subject vorauszusetzen ist Dirk Jacobsz noch keines-
wegs reif und einzelne Figuren, wie in unserem Bilde den Schützen rechts von der Inschriftsäule, lässt
er in der Blickrichtung noch fühlbar von den Uebrigen abweichen. Es ist vorläufig blos die Mehrheit,
die sich sowohl für die einheitliche Bewegungsrichtung als auch für die einheitliche Blickrichtung ent-
scheidet. Mit dieser subjectivistischen Lockerung der Gesammtauffassung sehen wir aber hier auch
eine solche der Auffassung der einzelnen Köpfe, das heisst ihres psychischen Charakters, Hand in Hand
gehen. Dieser war im nordischen Porträt seit Anbeginn als »Aufmerksamkeit« gefasst gewesen, und
zwar zunächst als möglichst objective Aufmerksamkeit, das heisst Befähigung und Bereitwilligkeit zur
Aufmerksamkeit, unter möglichster Vermeidung der momentan-subjectiven Zuthaten. Dass man diese
Neutralität im XVI. Jahrhundert allmälig ungenügend zu empfinden begann, lehrten schon einzelne
scharfe Kopfwendungen in Teunissens Bilde von 1533 und dann jener mit vorgebeugtem Kopfe aus-
lugende Schreiber des Bildes von 1554. Aber alle diese Versuche waren blos Symptome der wachsenden
Tendenz auf stärkere Subjectivierung der Köpfe, die schon deshalb keine fruchtbare Fortsetzung finden
konnten, weil die Momentbewegung dem Wesen des Porträts im Grunde widersprach. Zur Lösung
des neuen Problems am Einzelporträt eignete sich weit besser Dirk Jacobsz, obwohl er in dieser Hin-
sicht um 1533 gegenüber Teunissen eher alterthümlich und rückständig erschienen war, ja damals
sogar noch an der dreifachen Richtung von Rumpf, Kopf und Augen festgehalten hatte, die er erst
1563 verlassen zeigt. Die Intimität, die er dem Blicke seiner Figuren schon auf dem allerersten Gruppen-
bilde von 1529 zu verleihen wusste und die keiner seiner uns durch ihre Werke bekanntgewordenen
Nachfolger (etwa mit Ausnahme desjenigen von 1534, mit dem er aber vielleicht identisch ist) jemals
 
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