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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0140
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Alois Riegl.

erreicht hat, lässt uns verstehen, wie gerade er den Köpfen ein subjectiveres inneres Leben zu verleihen
gewusst hat, ohne dabei ihren porträthaften Charakter preiszugeben.

Die Subjectivierung der Aufmerksamkeit konnte im Porträt nicht darin gesucht werden, dass man
sie in Zeit und Raum individualisierte, in einem bestimmten Momente auf ein bestimmtes Ziel gerichtet
erscheinen Hess, sondern nur dadurch, dass man sie mit einer der verschiedenen Ausdrucksformen des
Willens oder des Gefühls verband. Auf den Ausdruck des Willens, d. i. der Selbständigkeit und Grösse
des Individuums, das sich seine ganze Umgebung zu subordinieren trachtet, war die psychische Auf-
fassung der italienischen Porträtmaler aufgebaut. Der Romanismus der Niederländer des XVI. Jahr-
hunderts ist auch in Holland, wie A. Mor beweist, theilweise darauf eingegangen; die glücklichste
Ausgleichung der italienischen Willensmalerei mit der nordischen Gemüthsmalerei hat aber später die
flandrische Schule unter Rubens vollzogen. Den Holländern lag von vorneherein eine Verbindung mit
den Ausdrucksformen des Gefühls näher, und zwar nicht mit der Form des Selbstgefühls, das gleichsam
nur als Motivierung des Willens erscheint (begehrend, als Lust bei Rubens, ablehnend-pathetisch, als
Unlust bei van Dyck), sondern als Mitgefühl, das jede Subordination ablehnt und rein die Aufmerk-
samkeit nach Aussen motiviert. Das Pathos kann in dieser auf Mitgefühl basierten und somit selbst-
losen Aufmerksamkeit nur als innige Theilnahme, die Lust nur als Humor auftreten.

Das Schützenstück des Dirk Jacobsz von 1563 ist nun das erste Gruppenporträt, in dessen Köpfen
wir da und dort dem Versuche eines Gefühlsausdruckes in dem gedachten Sinne begegnen. An den zwei
Figuren links unten ist die Falte, die von der Nase gegen den Mundwinkel abwärts geht, derart accen-
tuiert, dass dadurch der Eindruck eines wohlgefälligen Schmunzeins hervorgebracht erscheint. Auch der
Schütze mit dem geschulterten Gewehr darüber schaut zwar ohne jene Anwandlung von Lächeln aber
doch mit behaglicher Miene aus dem Bilde heraus und die frohe Kameradschaftsstimmung, wie sie
ferner durch das zum Marsche geschulterte Gewehr unterstützt wird, theilt sich unwiderstehlich dem
Beschauer mit. Es sei hier vorläufig nur daran erinnert, dass zur gleichen Zeit der Humor in der
niederländischen Genremalerei, namentlich durch Pieter Breughel d. Ae., in minder packender aber
dafür umso holländischerer Weise durch Pieter Aertsen breiten Eingang gefunden hat. Und dass seine
Einführung in das Gruppenporträt ein latentes Problem der Entwicklung bildete, beweist unter anderen
jener grinsende Schütze von 1554, an dem man zugleich auch deutlich ersehen kann, dass die Ver-
äusserlichung des Gefühlsausdruckes bei den Holländern nicht zum Ziele führen konnte. Die entgegen-
gesetzte Gemüthsstimmung ernster Theilnahme glauben wir dagegen insbesondere aus der Miene des
Schützen ganz rechts oben herauszulesen. Es darf somit ungescheut gesagt werden, dass die gefühl-
lose Aufmerksamkeit der früheren Porträte, die mitunter fast zu animalischem blos Lebenwollen herab-
zusinken drohte, in diesem spätesten und reifsten Werke des Dirk Jacobsz überwunden erscheint. Die
Malerei des aufmerksamen Mitgefühls, des Humors und der herzlichen selbstlosen Theilnahme hat
begonnen.

Fast noch schlagender äussert sich der geschehene Fortschritt in allem, was die physische Er-
scheinung der Figuren betrifft. Die Composition im Ganzen zeigt zum ersten Male die concentrische
Anordnung in der Ebene vollständig aufgegeben. Denn selbst in dem Bilde von 1554, in dem sich
ein bestimmter Zug nach der Ecke rechts unten bereits bemerkbar macht, ist doch das centrale
Element daneben noch fühlbar festgehalten: es liegt nicht allein in der durchgeführten Reihung mit-
eingeschlossen sondern erscheint auch durch den breitspurig hingestellten Schützen mit der Armbrust
in der untersten Reihe direct betont. Im Bilde von 1563 pflanzt sich aber die einseitige Richtung, die
von links her begonnen hatte, weit über das Centrum des Bildes hinaus fort und damit ist jede Er-
innerung an ein objectivistisches Centrum ausgelöscht. Da aber anderseits, wie wir gesehen haben,
doch noch nicht ein einziges betrachtendes Subject vorausgesetzt ist, das die Einheit der Composition
allein in optisch richtiger (d. h. der Erfahrung auf Grund des subjectiven Sehens entsprechender) Ver-
theilung der Figuren im Räume gesucht hätte, so musste der Maler doch noch mittelst irgend einer
objectiven, d. i. in der Ebene wirkenden Disposition seine Einheit angestrebt haben. Und in der That
ist eine solche gesetzlich-lineare Disposition, wie sie der Ebene entspricht, im Bilde von 1563 noch
 
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