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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0141
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Das holländische Gruppenporträt. 1^5

immer nicht zu verkennen. Sie beruht in der diagonalen Reihung wie im Bilde von 1534. War sie
aber im letzteren streng regelmässig als versetzte Reihung durchgeführt gewesen, so sind jetzt die
einzelnen Reihen innerlich in Unordnung gerathen, so dass immer wieder je zwei Köpfe unter-
einander in engere Beziehung und damit eo ipso in gewissen Gegensatz zu ihren zwei Nachbarn treten.
Erscheint hienach die objectivistisch-normale Liniencomposition in der Ebene im letzten Grunde
noch festgehalten, so ist sie doch anderseits so weit durchlöchert, dass sie nicht mehr genügte, um
den überzeugenden Eindruck der Einheit hervorzubringen. Das nächste Vereinheitlichungsmittel,
das auch die Holländer des XVII. Jahrhunderts (am typischesten Adrian van Ostade) zur Vollkom-
menheit ausgebildet haben, war das Raumcentrum. Es bedeutet noch immer Objectivismus, denn
die Einheit liegt noch immer im Object und nicht im Erfahrungsbewusstsein des Subjectes; aber es ist
nicht mehr ein Punkt oder eine Linie in der Ebene sondern ein dreidimensionaler Raumtheil, um den sich
die sichtbaren Dinge concentrieren. Bestrebungen auf Herstellung eines solchen Raumcentrums waren
seit dem Beginne des XVI. Jahrhunderts nicht allein im Süden (Correggio) sondern auch schon bei
Geertgen van Haarlem, ferner selbst im Gruppenporträt des Dirk Jacobsz von 1529 und sodann nament-
lich in der Maltijd des Teunissen von 1533 wahrzunehmen gewesen, und zwar in den letzteren stets in
Verbindung mit dem durch die Symmetrie betonten Centrum der Ebene. In dem Bilde von 1554 ver-
rieth sich der Keim zur Ausbildung eines Raumcentrums ausserhalb des Ebenencentrums, und zwar in
der Ecke rechts unten. In dem Bilde von 1563 ist zwar zwischen den Schützen nirgends ein Raum
fre

igemacht aber dem Beschauer macht es den Eindruck, als ob die von links anmarschierenden Schützen
sich um den ganz vorne, das heisst wiederum rechts unten in der Ecke innehaltenden Schützen mit
dem Häring concentrieren wollten. Es mag vielleicht hiebei Täuschung mitunterlaufen; aber der Ein-
druck der compositionellen Einheit, den das Bild trotz seines Schwankens zwischen Objectivismus und
Subjectivismus auf den modernen Beschauer ausübt, scheint wesentlich nur darauf zu beruhen, dass in
dem vordersten Schützen für die Vorwärtsbewegung der hinteren gleichsam ein festes Ziel gegeben ist.
Habe ich Recht, dann wäre uns damit zugleich eines der frühesten Beispiele des für die moderne Kunst
so charakteristischen Ineinanderfliessens von Auffassung und Composition gegeben.

Endlich wird Niemand übersehen, dass die P'iguren nun weiter auseinander gerückt erscheinen
und dadurch eine grössere Bewegungsfreiheit erlangt haben, wie sie freilich die neue Auffassung und
Composition von selber forderten. Es war damit aber auch eine künstlerische Anerkennung des freien,
zwischen den Körpern circulierenden Luftraumes gegeben, die in der holländischen Malerei der Folge-
zeit so bedeutungsvoll werden sollte.

Bei der für die Entwicklung epochemachenden Bedeutung, die dieses Bild somit in allen Be-
ziehungen beanspruchen darf, wäre es höchst erwünscht, auch das darin beobachtete Verhältnis der
Figuren zur Landschaft genau kennen zu lernen. Leider ist dies nur in sehr unvollkommenem Maasse
möglich; d enn das Bild ist nicht allein hoch gehängt und sehr getrübt sondern auch im Hintergrunde
stark übermalt. Die geballten Wolken mit beleuchteten Rändern sind zweifellos nicht ursprünglich
und man wird daher auch das Uebrige mit Misstrauen betrachten müssen. So viel man sieht, dehnt
sich hinter der Brüstung, welche die Pfeilerhalle sammt den Figuren darin nach der uns von 1554 be-
kannten Weise abschliesst, eine verhältnismässig flache Landschaft mit einigen nahen, oben vom
Rahmen gestutzten Bäumen und niedrigeren Felsbergen in der Ferne. Hienach erscheint die Land-
schaft sowohl durch natürliche Abstufung der Grössenverhältnisse nach der Ferne als auch durch eine
bestimmte Subordination mit den Figuren des Vordergrundes enger verbunden.

Betrachtet man endlich die einzelnen Köpfe auf ihr Verhältnis zum umgebenden Räume, so liegt
das Neue nicht minder offen zu Tage. Vergleicht man diese Porträte mit denjenigen des Meisters aus der
ersten Periode, so zeigen sich die Umrisse der (nun überwiegend bärtigen) Köpfe jetzt weicher, duftiger,
zur Verbindung mit dem umgebenden Lufträume geneigter, die Fleischflächen aber gewölbter, relief-
artiger, die Tiefenausdehnung gegen den Beschauer stärker markierend. Vergleicht man sie dagegen
mit den Köpfen von 1557, mit ihren gehäuften Modellierungsschatten, so erweist sich untrüglich, dass
das Relief bei Dirk Jacobsz nicht scharf und hart abgerundet, wie nach der Höhe und Breite so auch
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