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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0142
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i36

Alois Riegl.

nach der Tiefe (gegen den Beschauer) greifbar abgegrenzt sondern gleich den Umrissen verhältnis-
mässig weich aufgelockert erscheinen sollte. Dieser weichen Bildung der Reliefflächen verdanken die
Köpfe nicht allein ihr echt holländisches künstlerisches Aussehen sondern auch den Reiz, den sie auf
den modernen Beschauer ausüben. Gegenüber dem Bilde von 1557 mit seinen bunt vorschlagenden
Localfarben, namentlich in den Costümen, bezeichnet endlich das in Rede stehende des Dirk Jacobsz
von 1563 ein Zurückgehen auf tonigere Behandlung der Farben, was mit jenem echt niederländischen
Bestreben nach Darstellung des zwischen den Figuren Befindlichen zusammenhängt. Leider gestattet
der schlechte Erhaltungszustand auch nach dieser Seite nicht mehr als eine summarische Beobachtung.

Dass alle diese neuen und bahnbrechenden Erscheinungen im Gruppenporträt des Dirk Jacobsz
von 1563 nicht etwa einem zufälligen glücklichen Wurfe ihre Entstehung verdanken sondern Resultate
einer zielbewussten Entwicklung waren, dafür besitzen wir einen unwiderleglichen, kostbaren Beweis
in seinem Petersburger Schützenstück von 1561 (Fig. 24). Es zeigt alle Eigentümlichkeiten des Bildes
von 1563, aber auf einer etwas früheren und unvollkommeneren Stufe der Ausbildung, auf welcher der
Künstler hinsichtlich der ihm vorschwebenden neuartigen Lösung des alten Problems noch nicht voll-
ständig mit sich selbst im Reinen gewesen ist. Zum Marschmotiv in der Auffassung hat er sich hier
noch nicht entschlossen; zwei Drittel der neun Figuren sind von rechts nach links und nur ein Drittel
nach der umgekehrten Richtung gewendet. Die Blicke trachtet er aber nach der rechten Seite hin zu
concentrieren, und zwar auf eine so auffällige Weise, dass die Absicht des Meisters, damit die Auf-
merksamkeit des Beschauers zu erregen, gar nicht bezweifelt werden kann. Die drei letzten Figuren
auf der rechten Seite, die gleich der Mehrzahl mit Oberkörper und Kopf nach links gekehrt sind,
zeigen auffallend schielende Augen und noch eine weitere Figur, unterhalb des Inschriftpfeilers,
sendet einen merkwürdigen Blick aus den fast nach giottesker Weise geschlitzten Augen. Dass just
in dieser Rotte drei schielende Leute gewesen sein sollten, wird Niemand glauben; es kann sich also
dabei blos um eine bestimmte künstlerische Absicht des Malers gehandelt haben und diese Absicht
bleibt auch nicht im Zweifel; denn das Schielen ist nur dadurch entstanden, dass die Pupillen in allen
diesen Köpfen ganz in den äussersten rechten Winkel des Augapfels geschoben wurden. Die Schützen
sollten also nach rechts zurückblickend dargestellt werden und der Beschauer sollte das trotz ihrer
Wendung nach links beileibe nicht übersehen. Da nun die von links nach rechts gewendeten Figuren
den Blick in normaler Weise in der Richtung ihrer Köpfe senden und sämmtliche nach der entgegen-
gesetzten Seite gewendeten Figuren etwas zurückblicken, so laufen alle Blicke trotz der gegensätzlichen
Körperhaltung der Figuren schliesslich nach einer einzigen Richtung zusammen. Die Absicht ist also
gleich derjenigen von 1563; aber die Mittel waren noch gezwungenere, minder schmiegsame, mehr
objectivistische.

Den gleichen Eindruck gewährt eine Betrachtung der Composition. Der Centraiismus ist auch
hier bereits aufgehoben aber eine strengere gesetzliche Liniencomposition festgehalten. Die Köpfe
liegen noch fast in völlig geraden Diagonallinien, wie es dem gesetzlichen Schema der versetzten
Reihung entspricht, ohne Verschiebung und Unordnung bis auf eine Unterbrechung auf der rechten
Seite, die aber genügt, um den Eindruck der versetzten Reihung doch nicht mehr in jenem strengen
Normcharakter aufkommen zu lassen, wie er der Composition des Bildes von 1534 zu Grunde lag.

Die Landschaft ist in dem Petersburger Bilde besser erhalten als in dem Amsterdamer. Ganz
rechts thürmt sich eine Felsmasse empor, die der Rahmen oben abschneidet; links davon erstreckt sich
durch die ganze Breite des Bildes ein wellig bewegtes Land, dessen Theile sich in Diagonalen über-
schneiden, mit einzelnen Bäumen in mittlerer Nähe, Felsbergen und Mauerstädten in der Ferne.
Dirk Barcntsz. Für die einander widerstreitenden Richtungen, die in den Fünfzigerjahren um Geltung rangen,

hat Dirk Jacobsz eine Art Ausgleich gefunden. Seine Lösung von 1563 gewährt aber den Eindruck
der Einheit doch nur demjenigen, der im Stande ist, dieselbe intimer auf sich wirken zu lassen. Wer
das Bild mehr auf das Aeussere hin beurtheilt, wird darin neue Widersprüche entdecken. Der Auffassung
soll ein gemeinsamer Richtungsimpuls zu Grunde liegen, der aber doch empfindlich genug wenigstens
zum Theile wieder aufgehoben wird. Die Composition soll die Figuren nun im Tiefraume anstatt in
 
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