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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0152
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Alois Riegl.

here Historienmalerei das Ewige blos durch das Ausserordentliche versinnlichen zu können geglaubt
hatte.

Diese zwingende innere Nothwendigkeit als Characteristicum des Genrebildes hat aber eine Ver-
tiefung des psychologischen Ausdruckes in den Figuren zur Voraussetzung, wie sie vordem XVI. Jahr-
hundert unmöglich gewesen wäre. Dass der alte Breughel uns das Gebahren seiner niederländischen
Bauern als ein naturnothwendiges schildern konnte, verdankte er seiner Fähigkeit, das psychische
Leben derselben in seinen markantesten Zügen zu erfassen und in den Figuren zu überzeugendem Aus-
drucke zu bringen. Es gehörte dazu eine Beobachtung namentlich des Gemüths, d. i. der Aufmerksam-
keit, wie sie weder den antiken Völkern noch selbst den Italienern der Renaissancezeit zu Gebote ge-
standen hatte. Einzig die Niederländer waren zunächst befähigt, eine wirkliche Genremalerei zu be-
gründen, zugleich aber auch in die Historienmalerei und, wie sich alsbald zeigen wird, in die Gruppen-

porträtmalerei eine genremässige

Auffassung hineinzutragen.

Wir haben bereits in der so-
eben betrachteten zweiten Hälfte
der ersten, symbolistischen Periode
der Amsterdamer Gruppenporträt-
maierei vereinzelt eine genremäs-
sige Auffassung eindringen sehen.
Zur gleichen Zeit ist das nieder-
ländische Genre, dessen Vorstufen
freilich weit in das XV. Jahrhun-
dert zurückreichen, in die entschei-
dende Phase seines Werdens ge-
treten. Die Meister, die ihm zu-
erst eine fertige Form und völlig
unabhängige Existenz verliehen
haben, heissen Pieter Breughel

Fig. 27. Liebespaar, von Pieter Aertsen. d. Ae. und Pieter Aertsen.

Wien, kaiseri. Hofmuscum. Die Stellung des alten Breug-

hel lässt sich vielleicht am prägnan •

testen dahin charakterisieren, dass in seiner Kunst einerseits die bisherige gemeinniederländische Ent-
wicklung ihren Abschluss gefunden hat, anderseits aber die Keime der beiden Richtungen enthalten
sind, die künftighin getrennt nebeneinander laufen sollten: der flämischen und der holländischen. Das
flämische Element ist dabei natürlich in weit stärkerem Maasse ausgesprochen; in der unvergleichlichen,
niemals verfehlenden Kraft, mit der er jede äussere Bewegung und zugleich das dieselbe begleitende
psychische Lustgefühl zu schildern weiss, erscheint Pieter Breughel d. Ae. als der vollwerthige Vor-
läufer des Rubens. Hingegen stellt er sich mit der Schärfe seiner physiognomischen Beobachtung, der
unerschöpflichen Abwechslung des Mienenspieles zum Beispiele in seinen Bauernköpfen, unmittelbar
neben Rembrandt, und zwar neben den jungen Rembrandt, der (vielleicht in bewusstem Wettstreit
mit den Flamen) nicht müde wurde, sich namentlich in Radierungen über die Wirkungen lebhafter
Affecte auf die Gesichtsmuskeln klar zu werden, während der spätere Rembrandt (des Hundertgulden-
blattes, der petite Tombe, der Staalmeesters) allerdings in noch weit grössere Tiefen des menschlichen
Seelenlebens eindrang, wie ja auch Rubens in der Wiedergabe äusserer Bewegung seinen Vorläufer
schliesslich übertroffen hat.

Während somit Pieter Breughel d. Ae. den Ausgangspunkt der flämischen Genremalerei (und
aller späteren flämischen Malerei überhaupt mit Ausnahme der rein religiösen) bildet und für die hol-
ländische nur insoferne Bedeutung besitzt, als dieselbe später bestimmte Elemente der ersteren benützt
hat, um mit ihrer Hilfe auf eine höhere Stufe der Ausdrucksfähigkeit zu gelangen, so hat dagegen Pieter
 
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