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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0154
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Alois Riegl.

blickt. Eine schon am Apostatabiide des Geertgen beobachtete, specifisch holländische Neigung verräth
sich darin, dass beide hinteren Figuren gleichzeitig mit den Händen weisend agieren, wodurch sie sich
wechselseitig subordinieren und infolgedessen schliesslich beide als coordiniert erscheinen.

Man wäre versucht sich zu fragen, wie ein Meister, der von solcher Grundauffassung ausging, sich
wohl benommen haben möchte, wenn ihm die Aufgabe gestellt worden wäre, zwei Personen in engen
erotischen Beziehungen zu einander darzustellen. Interessanterweise hat er uns die Antwort hierauf in
einem Bilde der kaiserlichen Galerie in Wien (Nr. 703, Fig. 27) hinterlassen. Wiewohl beide Theile
sich wechselseitig die Natur ihrer Gefühle in ziemlich handgreiflicher Weise mittheilen, finden sie sich
doch nicht veranlasst, einander dabei anzublicken. Der Mann schaut vielmehr voll, wie ein Porträt-
kopf, zum Beschauer heraus: er lebt in diesem Augenblicke eben ausschliesslich seiner subjectiven Tast-
empfindung und will nichts Objectives um sich sehen. Das Mädchen dagegen verräth in ihrem ge-
senkten Blicke zugleich ein verlegenes Schuldbewusstsein und damit eine tiefere seelische Regung.
Will man das specifisch Holländische darin recht deutlich erkennen, so braucht man blos die flämische
Auffassung des gleichen Themas daneben zu halten, wie sie z. B. in Rubens' Croc en jambe in der
Münchner Pinakothek (Fig. 28) vorliegt. Während bei Aertsen Alles auf Empfindung reduciert ist, er-
scheint bei Rubens Alles als Handlung. Der Mann hat seine sämmtlichen Sinne einheitlich auf den
Gegenstand seiner Eroberungssucht gerichtet und das Widerstreben des Weibes verräth nur allzu deut-
lich, dass es nicht ernst gemeint ist. Ihr Kopf erscheint aber, wie sich dies beim Nordländer Rubens
versteht, durchaus nicht ohne psychologische Vertiefung; denn es malt sich darin mit köstlicher Klar-
heit die Politik, die sie gegenüber der Attaque äusserlich befolgt. In keiner Weise erscheint sie dabei
von irgend einem leidenden Gefühle des Schuldbewusstseins angekränkelt, das Ruböns (zum Unter-
schiede gegenüber van Dyck) grundsätzlich vermieden hat. Ferner hat Aertsen die Objecte des eroti-
schen Reizes hinter Gewändern verborgen, so dass der Beschauer sie sich subjectiv ergänzen muss,
während sie bei Rubens grösstentheils entblösst und damit offen klargelegt sind. Also überall innere
Einheit und Objectivismus beim flämischen Meister, wo der Holländer den Umweg über die Empfin-
dungsthätigkeit und das Erfahrungsbewusstsein des betrachtenden Subjectes genommen hat.

Zweite Periode der holländischen Gruppenporträtmalerei (1580—1624).

Dass in der chronologischen Reihenfolge der Amsterdamer Schützenstücke nach dem Jahre 1566
abermals eine Lücke anhebt, wird man ohneweiters mit den gleichzeitigen politischen und religiösen
Wirren zu erklären geneigt sein. Aber gerade die Stadt Amsterdam hatte, dank der klugen und vor-
sichtigen Haltung ihrer Lenker, unter der allgemeinen Ungunst wenig zu leiden und wir besitzen ge-
nug Zeugnisse dafür, dass die Uebung der Malerei in Holland selbst während der ärgsten Stürme
im Wesentlichen eine ungeschwächte geblieben ist. Nur die Kirchen- oder Cultusmalerei, die freilich
im XV. Jahrhundert weitaus die vornehmste Rolle gespielt hatte, war durch die Ereignisse insofern in
Mitleidenschaft gezogen worden, als das siegreiche reformierte Bekenntnis der Kirchenmalerei keine Auf-
gaben zu stellen hatte. Umsomehr stand von der Porträtmalerei in jenen Jahren ein Aufschwung zu
erwarten und diese Erwartung wird auch nicht getäuscht, soweit das Einzelporträt in Frage kommt.
Aber in der Entwicklung des Gruppenporträts gähnt eine Lücke, die von 1567 bis in den Anfang der
Achtzigerjahre reicht. Wollte man die Gründe dafür erschöpfend anführen, dann müsste man zweifels-
ohne tiefer greifen und vor Allem jene Gebiete der Profanmalerei namhaft machen, die in der gleichen
Zeit in Holland begünstigt waren. Dies zu untersuchen, muss einer künftigen Gelegenheit vorbehalten
bleiben; hier sei nur ein äusserer Umstand geltend gemacht, der wenigstens ein Streiflicht auf den
Complex von obwaltenden Ursachen zu werfen geeignet ist. Die Schützengilden bildeten ursprünglich
nicht blos bürgerliche Zünfte sondern sie- besassen zugleich auch religiösen Charakter, der sich schon
in der Patronanz von Heiligen verräth. Dieser letztere ist ihnen in der Zwischenzeit, von der nun die
Rede ist, in Holland vollständig verloren gegangen, während er in dem südlichen, katholischen Theile
 
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