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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 23.1902

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I. Theil: Abhandlungen
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Riegl, Alois: Das holländische Gruppenporträt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5950#0156
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Alois Riegl.

Die

Corpora] schaft
des Gapitäns
Dirk Jacobsz
Rosccrans
von

Cornelis Kctcl.

jectivistischen Steigerung und Fortentwicklung des psychischen Ausdruckes als in einer solchen der
äusseren, physischen Lebenserscheinungen gelegen war.

Wiederum fragen wir zuerst nach der Auffassung, die alle Glieder der Gruppe zu einer evidenten
inneren Einheit verbinden sollte. Wie die Figuren selbstbewusst dastehen, ohne sich einen Zwang an-
zuthun, dahin und dorthin blicken, zum Theil auch auf den Beschauer hin aber ohne Wechselverkehr
untereinander, verrathen sie auf den ersten Blick durchaus kein einheitliches Gebahren, das einen ge-
meinsamen Impuls voraussetzen Hesse. Von einer Mahlzeit kann keine Rede sein und ebensowenig von
der Ablegung eines Waffeneides. Wir sind daher darauf angewiesen, die Actionen der Schützen im Ein-
zelnen zu untersuchen, und da stellt sich heraus, dass jeder Schütze ohne Ausnahme eine Waffe in der
Hand hält und die andere Hand, sofern sie frei, und sichtbar ist, mit einer einzigen Ausnahme in irgend
einer Weise thatlos ruhen lässt. Die Waffen sind verschiedenster Art, zum Schutz und Angriff be-
stimmt: Lanzen, Schilde, Büchsen, Flamberge, Degen; nur die Armbrust fehlt, obwohl die Corporal-
schaft dem Voetboogsdoelen angehörte, woraus die nunmehrige Bedeutungslosigkeit des alten, an die drei
Waffen geknüpften Gildenbegriffes deutlich hervorgeht. Das Bedeutsamste ist nun, dass die Waffen
nicht, wie einst als Symbole, nur in den Händen einiger Weniger sondern Aller zu sehen sind: sie sind
somit nicht mehr Symbole, d. i. absolute, objective Attribute sondern momentane und individuelle
subjective Attribute, wie sie ein betrachtendes Subject in irgend einem gegebenen Augenblicke, und
zwar nicht in einem einzigen historischen (wie die Palmzweige der heil. Grabespilger) sondern in
einem öfter wiederholten, sozusagen alltäglichen, wahrnehmen konnte. Damit allein ist schon gesagt,
dass die Auffassung in diesem Gruppenporträt keine symbolistische mehr ist. Dass schon die Entwick-
lung in der früheren Periode diese Wandlung vorbereitet hat, war uns aus dem Bilde des Dirk Barentsz
von 1566 klar geworden.

Wodurch wird aber der Eindruck der Einheit in dem Bilde herbeigeführt, wenn der Symbolismus
als Mittel hiefür in Wegfall gekommen ist? Er ruht buchstäblich in jener Hand des einzigen Schützen,
der nebst dem Tragen seiner Waffe noch eine zweite Action vollführt. Dies ist der dunkel gekleidete,
im Profil dahinschreitende Mann links von der Mitte, der schon durch die Schärpe über der Brust auf-
fällt und vom Meister in jeder Beziehung in den Vordergrund geschoben wurde, so dass wir in ihm
auf den ersten Blick den Capitän Dirk Jacobsz Rosecrans erkennen. In der gesenkten Rechten hält,
er den Speer, den Kopf wendet er heraus auf den Beschauer und mit Zeigefinger und Daumen der
Linken weist er auf die nächsten Schützen im Vordergrunde, deren einer als Fahnenjunker, der andere
durch die Schärpe als Lieutenant gekennzeichnet ist. Diese benehmen sich so, wie es dem Gestus deS
Capitäns entspricht, indem sie zum Unterschiede von den übrigen nächststehenden Schützen, deren
Aufmerksamkeit nach anderen Seiten gerichtet ist, gleich dem Capitän nach dem Beschauer blicken;
und auf solche Weise erscheint zwischen den Dreien ein Rapport hergestellt, dem zum vollen genre-
mässigen Abschluss nur ein Glied fehlt: der Beschauer. Der Sinn der Handlung geht offenbar dahin,
dass Lieutenant und Fahnenjunker durch den Capitän einem (oder mehreren) Dritten vorgestellt
werden, und das gibt ein einheitliches Genrebild. Indem aber dieser Dritte nicht im Bilde mitgemalt
ist sondern unsichtbar ausserhalb desselben verbleibt, ist dem Bilde der Charakter des Gruppenporträts
gewahrt. Die übrigen Schützen nehmen an der Vorstellung wenigstens mittelbar theil. Man kann
somit dieses neue genremässige Motiv des Gruppenporträts als Präsentation bezeichnen; da aber eine
solche Präsentation in Wirklichkeit doch kaum vorgekommen ist, und wenn sie vorgekommen sein
sollte, die Schützen sich dabei kaum in solcher Weise benommen haben dürften, bleibt dem Ganzen
trotz äusserer genremässiger Auffassung doch innerlich noch ein symbolistischer, d. h. nicht subjectiver,
nicht wirklicher Charakter gewahrt. Die Präsentation ist nun begründet auf Subordination, denn nur
dem Capitän verdankt das Ganze seine Einheit. Die abwechslungsreiche, selbstbewusste Haltung der
Figuren beweist aber anderseits, dass sie keinem Commandozwange sondern freiem Entschlüsse folgen,
und darin verräth sich wiederum die Tendenz auf Coordination. Das Motiv der Präsentation als solches
endlich ist deshalb speeifisch holländisch, weil dabei die ganze Handlung darin besteht, dass einer den
Anderen (und zwar diesmal den Zuschauer) auf etwas aufmerksam macht.
 
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