Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Stiassny, Robert: Altsalzburger Tafelbilder
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0065
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Altsalzburger Tafelbilder.

59

nen Schweif und der schellenbehangenen Satteldecke dem Schimmel des Longinus auf der Tafel im
Hofmuseum gleicht. Selbst die zwei weißen Hündchen mit den Schafsohren vom Vordergrunde des
Wiener Bildes — mit dem einen spielt dort ein Knabe — kehren in Graz wieder, zu Füßen der beiden
kleinen Knappen oder Pagen des eben erwähnten Reiterpaares (siehe Schlußstück und Fig. 3).

So hat der Maler des Grazer Dombildes nicht nur fast das gesamte gegenständliche Programm
sondern auch einen Teil des Typeninventares Pfennings benützt. Er hat aber den alten Gegenstand
mit neuem Leben erfüllt, Komposition und Formen individuell umgeprägt. Die Massen sind klarer ge-
gliedert, die Hauptpersonen schärfer hervorgehoben, der Aufbau der Scene hat mehr Luft als in Wien.
Uber der Kostümfreude, über dem Vergnügen an zierlichem Prunk, an allerhand lustigem Einzelzeug,
das er mit Pfenning teilt, hat er den Blick für das Ganze nicht so sehr verloren. Einen merklichen
Fortschritt zeigt er in der Kenntnis des Nackten. Liegen den Gekreuzigten auch keine eigentlichen
Aktstudien zu Grunde, so ist das Verständnis für den menschlichen Organis-
mus doch weiter gediehen, gewähren die Gewänder der bekleideten Figuren
einen deutlicheren Nachklang der Bewegung als bei Pfenning. Ebenso sind
die Pferde nicht mehr so hölzern und mechanisch wie auf dem Wiener Bilde
sondern mit guter Beobachtung des Baues und der Gangart wiedergegeben.
(Fig. 2). Ein gewisses Streben nach Linienschönheit kommt nicht nur den
heiligen Gestalten sondern auch den bei Pfenning noch in traditioneller Häß-
lichkeit geschilderten Schachern zu Gute. Sonst geht der Maler aber auf
eine resolute, ja mitunter porträtmäßige Nachbildung der Modellerscheinung
aus, mußte er bei dem großen Personal des Gemäldes gelegentlich auch mit
Wiederholungen, z. B. des weißbärtigen Pharisäers zu beiden Seiten des
Mittelkreuzes, sich behelfen. Durch eine Fülle neuer Züge weiß er die
Szene der Wirklichkeit näher zu bringen, den Moment, die Situation schla-
gender zu vergegenwärtigen als Pfenning. Der berittene Landmann mit dem
gezückten Schwert unter dem Kreuz des bösen Schächers, der den Pilatus
vor ihm erregt am Mantel faßt; der schreiend und mit emporgerecktem Arm
in die Menge hineingaloppierende Bursche an seiner Seite; der Reiter mit
Pfeife und Trommel hinter und die beiden im vertrauten Zwiegespräch an-
einandergelehnten Hauptleute vor dem Kreuze Christi; das dummpfiffige
Bäuerlein zu Pferd unter dem Kreuz des guten Schächers; die beiden Hebräer
in kegelförmigen Hauben, vorne zuäußerst rechts, die mit einem Krieger in
vergoldeter Rüstung sich hohnlachend unterhalten (Fig. 4); endlich das

Paar links nahe am Rahmen, der reichgepanzerte Judenanführer und seine schwangere Frau mit dem
Kind auf dem Arme und dem Jungen mit dem Steckenpferd an der Hand — das sind Leute des All-
tags, Gestalten des Lager- und Straßenlebens der Zeit von so treffender Charakteristik, so beredter Mi-
mik, daß man ihnen das Wort aus dem Munde nehmen zu können meint. Doppelt rührend wirkt in
solcher Umgebung die von starkem inneren Leben bewegte Gruppe der Maria und ihrer Begleitung
(Fig. 5). Sie ist geschlossener komponiert, feiner abgewogen und abgestuft im Ausdruck als bei Pfen-
ning. Wie lahm erscheint die Trauerpose der aus dem Wiener Bilde stammenden Magdalena neben
dem qualvollen Auf blick dieses Johannes, dem tiefen Weh der zusammensinkenden Gottesmutter, der
stillen Betrübnis der liebreich um sie bemühten Genossinnen. Aber das Ausdrucksvermögen des Malers
erschöpft sich nicht in den am meisten in die Augen fallenden Vorder- und Mittelgrundsfiguren. Ihre
Erregung pflanzt sich fort auf das umstehende Volk, unter dessen johlendem, gröhlendem Chor noch
mancher markante Kopf die dramatische Spannung der Scene erhöhen hilft.

Reifer als die Wiener ist die Grazer Tafel auch in der malerischen Durchführung. Noch ist das
mittelalterliche Verfahren der Grundierung beibehalten. Die Fugen der Bretter und knorrige Stellen
derselben sind mit Leinwandstreifen überklebt, die Stoffmuster der Gewänder in den Kreidegrund ein-
geschnitten, die meisten anderen Verzierungen aufstukkiert. Das auf einen bräunlichen Mittelton ge-

8*

Fig. 3. C. Laib,
Kreuzigung
(Ausschnitt).

Graz. Domkirchc.
 
Annotationen