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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Stiassny, Robert: Altsalzburger Tafelbilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0072
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Robert Stiassny.

eine seiner anziehendsten Schöpfungen
(Taf. XIII b). Eine delikate, jungfräu-
liche Gestalt von überschlankem Wuchs
und leicht ausgeschwungener Haltung,
ist sie voll des eigentümlich spätgoti-
schen Liebreizes. Das längliche, unten-
hin zugespitzte Oval des Antlitzes mit
den schmal und zart gerundeten Wan-
gen erinnert in seiner still beseligten,
mädchenhaften Schönheit, in der de-
mutsvollen Reinheit des Ausdruckes
an manche Kupferstichmadonna Schon-
gauers. Die Gliederung des Kopfes je-
doch, die breite Stirn mit der Einsenkung
über den Schläfen, die feine, gerade

Nase,

der individuell durchgebildete

Fig. 9. Werkstatt des Meisters R. F., Verkündigung Mariae.
(Rückseite des Ölberges).
Wien, kais. Gemäldegalerie.

Mund entsprechen den weiblichen Ty-
pen des Großgmainers, dessen im Tem-
pel lehrender Christusknabe (Taf. X)
mit dem semmelblonden, drahtartigen
Kraushaar dem freundlichen Kinde un-
serer Madonna sehr ähnlich ist. Der
farbige Eindruck der Tafeln wird be-
stimmt durch das Blaßviolett der Tunika
Christi und des Mantels der Gottes-
mutter, das sich in eben dieser Abtö-
nung auf Bildern des Meisters mehrfach
wiederfindet, in Großgmain selbst auf der
Darbringung (Taf. IX), an dem Ärmel-
rock des Zuschauers zu äußerst rechts.
Die Malerei ist überhaupt recht hell ge-
halten, die Gestalten sind mehr durch
Licht als durch Farbe modelliert, in
großen, ruhigen Flächen, mit kräftigen Umrissen, in leichtem, flottem Auftrag. Die nämliche Be-
handlung zeigen die Flügel eines um 1500 entstandenen Altares in der Kirche St. Leonhard zu
Tamsweg. Eine derartige, mehr dekorative Malweise war aber bekanntlich allgemein beliebt für
die Außen- und Rückseiten spätgotischer Altäre — man denke nur an die in Steinfarbe ausgeführ-
ten Standbilder auf den Verschlußseiten flandrischer Schreine. Bloß die Festtagsseiten der Flügel
pflegte ja der Meister in gleichmäßiger Gediegenheit eigenhändig zu vollenden. Für die übrigen
Bilder begnügte er sich mit einem flüchtigeren Verfahren, oft einer farbigen Skizzierung, wenn er
sie nicht ganz von den gut eingeschulten Gehilfen nach seinen Angaben fertigen ließ, wobei sein per-
sönlicher Anteil sich bestenfalls auf die Ausführung einzelner Köpfe und Hände und die Zusammen-
stimmung des Ganzen beschränkte.

Diese mechanische Herstellungsweise, der handwerkliche Zuschnitt des Betriebes, die Abhängig-
keit von der jeweiligen Höhe der Bezahlung können nicht nachdrücklich genug betont werden an-
gesichts der großen Wertunterschiede zwischen den Leistungen einer und derselben Werkstatt. Man
vergegenwärtige sich etwa den Abstand zwischen dem Dominikaneraltar Schongauers in Colmar, diesem
frühen Atelierwerk, und Kabinettstücken des nämlichen Meisters, wie den heiligen Familien in Wien,
München, Frankfurt, Paris. Und wer würde ein Juwel der Feinmalerei wie die kleine Hausmadonna
 
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