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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Stiassny, Robert: Altsalzburger Tafelbilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0075
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Altsalzburger Tafelbilder.

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ins Profil gedreht ist, wie an dem Schergen links von Christus auf der Geißelung (Taf. XIV b).
Dreieckig abgedacht, ist es mit dem Läppchen an die Wange angewachsen. Der aus dieser vorsprin-
gende Knorpel, der die Mündung des äußeren Gehörganges deckt, der sogenannte tragus, fehlt gewöhn-
lich oder ist nur verkümmert vorhanden und sitzt dann zu tief. Die Öffnung des Gehörganges, die da-
durch freigelegt wäre, wird jedoch nicht sichtbar, so daß das Ohr, wenn überhaupt, statt von vorne von
hinten hören müßte. Auffällig sind ferner der schneckenförmige obere Ansatz der äußeren Ohrleiste
und die Größe der «Schiffergrube» am oberen Ende der inneren Leiste. Dieses mißgebildete Ohr,
das infolge einer weiteren Abnormität, des zu großen unteren Einschnittes (incisura intertragica) so
ziemlich einem «Bretzel» gleicht, ist ein standhaftes Merkmal unseres Meisters, zuverlässiger als ein
Monogramm, da es nicht gefälscht werden kann. Auch wo die Verschiedenheit der Ansicht Einzelnes
anders erscheinen läßt, bleibt die Grundform die nämliche. Man vergleiche etwa mit dem Ohre des
eben erwähnten Schergen dasjenige Josefs in der Großgmainer Darbringung (Taf. IX).

Eine fernere Ubereinstimmung zwischen den Wiener und Großgmainer Tafeln hat Dr. H. Modern
beobachtet. Auf beiden Reihen ist für die Granatapfelmusterung des Goldgrundes dasselbe Model ver-
wendet worden, mit dem merkwürdig rokokomäßigen Rahmenornament der einzelnen Felder (Fig. 12).
Die Schraffierungen des Grundes laufen in Wien wohl der Quere nach, in Großgmain senkrecht —
solche Details wurden aber gewiß freihändig gemacht.

Die Wiener Bilder sind ferner mit derselben Palette gemalt wie die Großgmainer. Die leichte,
flüssige Färbung ist zwar ohne Tiefe im Ton, aber dank dem durchschimmernden Kreidegrunde von
einer frischen Leuchtkraft, die nicht unharmonisch wirkt, weil grelle, schneidende Kontraste ver-
mieden sind. Es fehlt nicht das charakteristische Erdbeerrot des Meisters, sein saftiges Moosgrün,
sein gewähltes, lichtes Violett und Zitrongelb. Die großen Flächen verlangten aber eine raschere
Technik, eine faustmäßigere Pinselführung, die der Form naturgemäß nicht so feinfühlig nachgeht wie
auf den kleineren Tafeln in Großgmain. Eine weicher vertriebene Modellierung, zartere Nuancierun-
gen im Fleische darf man also nicht erwarten; dieses hat stellenweise, z. B. an den Füßen des Ge-
kreuzigten, ein geradezu lederartiges Aussehen.

Entschieden derber ist auch die Charakteristik der einzelnen Figuren. Daß der Maler für erregte
Darstellung kein Organ hatte, ersieht man schon aus einer Gruppe recht gewaltsam verdrehter, grimas-
sierender Schriftgelehrter im Vordergrunde des Großgmainer Bildes Christus im Tempel (Taf. X). Von
einer Schilderung der Leidensmomente begehrte aber auch das damalige Publikum nicht die edle Auf-
fassung, den intimen Reiz der Marienszenen. In den Wiener Bildern wird man also die Idealität des
Großgmainers vermissen; herbe, energische Köpfe, drastische Mienen und Geberden überwiegen, ja
der Maler scheut mitunter vor ausgesprochenen Häßlichkeiten nicht zurück. Hält man sich jedoch die
Greuel und Härten, die Roheiten und Karikaturen gegenwärtig, in denen die oberdeutschen, speziell
die bayerisch-österreichischen Passionsmaler des XV. Jahrhunderts sonst zu schwelgen pflegen, so wird
man den Meister R. F. noch zahm finden. Selbst unter den Peinigern und Bösewichten trifft man nicht
die wüsten, gemeinen Kerle, die andere Darstellungen dieser Art ungenießbar machen. Trotz Zähne-
fletschens und teuflischen Blitzens der Augen bewahren sie etwas von der Ruhe und Gelassenheit der
übrigen Personen. Unter diesen fehlt es aber nicht an Charakteren vom Schlage der Großgmainer
Apostel und Heiligen. Der mildelegische Christus, die in stiller, nonnenhafter Ergebung ihn beglei-
tenden Frauen, der bekümmerte aber gefaßte Simon von Cyrene auf der Kreuztragung sind in der-
selben Stimmungsregion zu Hause wie diese. Und in der patriarchalisch würdevollen Gestalt des
Josef von Arimathia der Kreuzigung, in dem prächtigen Greisenantlitz, das zwischen den Schergen
der Kreuzschleppung unter einem Filzhut herausschaut, in dem empfindsam niederblickenden Magda-
lenenkopf mit der bayerischen Riegelhaube auf demselben Bilde meldet sich bereits vernehmlich der
Schönheitssinn des Meisters.

Über die Vorgeschichte unserer im Jahre 1824 der kaiserl. Galerie eingereihten Passionsstücke war
nichts bekannt. Nach der Aussage der eingangs besprochenen Inventare befanden sie sich bis 1806 in
der erzbischöflichen Hofgemäldesammlung zu Salzburg, und zwar im zweiten Stock der Residenz, im
 
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