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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Stiassny, Robert: Altsalzburger Tafelbilder
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0086
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8o

Robert Stiassny.

Wie glücklich er diese ausgebildet hatte, erhellt aus drei anderen Gemälden kleinen Formates,
die offenbar in seine Spätzeit fallen. In der Georgskapelle der Münchener Frauenkirche hängt,
wenig gekannt, ein Bildchen, das angeblich St. Wolfgang darstellt und Eigentum der Schleißheimer
Galerie ist (67X46-5 cm.). Das Inventar der Sammlung von 1855 nennt als Herkunftsort des Stückes
(Nr. i363) das Kloster «Fürstenzell in St. Salvator» und gibt damit einen beachtenswerten biographischen
Fingerzeig. Denn sei es, daß damit das Prämonstratenserstift St. Salvator im Landgericht Griesbach, sei
es, daß die Cistercienserabtei Fürstenzell bei Passau gemeint ist, in beiden Fällen würde das bei der
bayerischen Klöstersäkularisation vom Jahre i8o3 eingezogene Bild aus einem geistlichen Hause in
Niederbayern unfern der heutigen österreichischen Grenze stammen, für das es wohl auch gemalt wurde.
Obwohl schon von R. Vischer 1 dem Großgmainer zuerkannt, wird die Tafel in den Kunstdenkmalen
des Königreiches Bayern (I, 981) noch als «Bayerisch um 1530» aufgeführt. Ein heiliger Abt sitzt in
rötlichbrauner Ordenstracht, Buch und Pedum in den Händen, nach links gewendet, auf einer mit
grünem Rücklaken behängten Steinbank (Taf. XVIII b). Bei der Abwesenheit jedes charakteristischen
Attributes ist die Deutung des Heiligen unsicher. Der Grund ist schwarz überstrichen, auch am Kopf
einiges, namentlich das Ohr, retouchiert. Die schlanke, biegsame Gestalt in der einfach und klar
angelegten Gewandung hat die an sich haltende Distinktion der Figuren unseres Meisters. Das scharf-
geschnittene, im vollen Licht herausmodellierte Klerikergesicht erinnert direkt an den linken Eckapostel
auf dem Pfingstfest in Großgmain (Taf. XI). Auch in der saftigen Färbung, dem dünnen, lasurarti-
gen Auftrag mit flüssigen Schatten steht der Maler schon auf seiner Höhe. Wir sind daher geneigt,
das Münchener Bild in den Ausgang des XV. Jahrhunderts zu setzen.

Aus dieser Schlußperiode des Künstlers besitzt Geheimer Legationsrat von Lindenau in Ber-
lin zwei auffällig ähnliche Täfelchen, Seitenstücke mit je einem lesenden Bischof (65X38-5 cm. —
Taf. XIX). Früher auf dem Polhofe in Altenburg (Sachsen), dem alten Familiensitz der Lindenau, auf-
bewahrt, erregten die Bilder 1897 auf einer Leihausstellung des Leipziger Kunstgewerbe-Museums
und im folgenden Jahre auf der Berliner Renaissance-Ausstellung Aufmerksamkeit, ohne eine befriedi-
gende Benennung zu finden.2 Neben der echten Jahreszahl 1498 steht in dem offenen Buche des einen
Bischofes ein falsches Dürermonogramm. Daß wir es mit unserem Anonymus zu tun haben, ergibt je-
doch mit aller Evidenz die Stilbetrachtung. Zwei Heilige im bischöflichen Ornat, ohne Nimbus und
sonstige Abzeichen, sitzen vor Brüstungen mit eingeblendetem Maßwerk hinter Lesepulten, auf denen
große Bücherliegen. Oberhalb der Pulte öffnen sich Repositorien mit anderen Büchern. Derartige, mit
Büchergestellen verbundene Einbauten trifft man noch zuweilen auf Emporen süddeutscher und öster-
reichischer Stifts- und Klosterkirchen der Barockzeit, zur Bequemlichkeit der chorsingenden Geist-
lichkeit. Der eine Bischof hat von dem Regal einen Band herabgelangt, in den er, die Beine erregt
übereinander geschlagen, den Klemmer auf der Nase, sich vertieft. Es ist ein klerikaler Heißsporn,
dem der Kircheneifer in jeder Fingerspitze sitzt, ein Dogmengrübler vom Schlage der Pharisäer auf
dem Großgmainer Tempelbilde mit dem lehrenden Ghristusknaben (Taf. X). Der zweite Bischof, der
in seinem Buche blättert, ist eine andere Natur: zäh, bedächtig, ein geistlich studierter Bauer, der
Prachttypus eines Landpfarrers und Dorfkaplans. Ungemein bauernecht ist die säuerliche Miene mit
dem verkniffenen Lächeln, das sich beim Großgmainer häufig findet. In ihre Gedankenwelt einge-
sponnen, führen die beiden heiligen Männer ein stillvergnügtes Dasein in der traulichen Enge ihrer
Studierstuben. Dieses anheimelnde Stück «Zimmergotik» mit seinen den Formen der Steinarchitektur
nachgebildeten Holzmöbeln dient nicht wenig zur Charakteristik der Persönlichkeiten, es ist der Ver-
such einer malerischen Milieuschilderung, modern auch in dem Sinne, daß Farbe und Lichtspiel zur
Erhöhung der Stimmung beitragen. In der kühlen Beleuchtung der vom reflektierten Licht erfüllten
Räume erglänzen die fröhlichen Lokalfarben des Großgmainers in ihrer ganzen Mannigfaltigkeit und
mit reliefartiger Deutlichkeit heben sich die Gestalten vom hellen, neutralen Grunde ab. Dabei verrät

1 Studien, S. 471.

2 Vgl. Repertorium für Kunstwissenschaft 1897, S. 115, und Zeitschrift für bildende Kunst 1896, S. 19f. mit Abb.
 
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