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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Wickhoff, Franz: Aus der Werkstatt Bonifazios
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0099
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Aus der Werkstatt Bonifazios.

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nach seines Vaters Tode als Meister niedergelassen hatte. In diesem Jahre befreien ihn seine Mit-
bürger «wegen der Vortrefflichkeit seiner ihm von Gott verliehenen Kunst» von aller Real- und Per-
sonalsteuer.1 Da er im Jahre 1510 geboren ist, war er damals kaum 21 Jahre alt. Ridolfi wird auch
mit der Angabe einer langen Lehrzeit Bassanos in Venedig recht haben. Denn da seine Bilder gar
nichts von den vicentinischen Eigenschaften seines Vaters zeigen, die in dessen in Bassano erhaltenen
Bildern deutlich hervortreten, muß er noch im zarten Alter zu Bonifazio gekommen sein. Durch
die Tierbilder hingewiesen und durch die Nachrichten aufgeklärt, wird es uns leicht, auch durch die
Figurentypen des Madrider Bildes in dem Schüler Bonifazios, der uns hier entgegentritt, Jacopo
Bassano zu erkennen, weil die Köpfe hier auf seinen späteren Bildern wiederkehren. Ein Umstand
weist das Bild in eine sehr frühe Periode des Künstlers, das ist die Unausgeglichenheit der Technik.
Während die Tiere mit der höchsten Subtilität durchgeführt sind, ist das andere geistvoll aber roh
hingestrichen. Auch die mancherlei Willkürlichkeiten in der Behandlung der Landschaft weisen
darauf, daß der junge Künstler seine Detailstudien noch nicht auf die landschaftlichen Gegenstände
ausgedehnt hat. Ich möchte das Bild etwa in das Jahr 1527 setzen, wo Jacopo in sein 18. Lebensjahr
trat; es ist vielleicht das älteste erhaltene Werk, in dem uns der Genius des großen Künstlers ent-
gegentritt.

Dem Madrider Bilde steht eine Anbetung der Hirten bei Capt. G. L. Holford C. J. E. in London
am nächsten2 (Fig. 3). Die Komposition des vorher besprochenen Bildes klingt darin noch nach. Die
Gruppe, von einer Figur entlastet, ist kompakter, nimmt weniger Raum ein. Dennoch sieht das Bild
voller aus, weil die Ruine, mächtig ausgestaltet, zwei Drittel des Hintergrundes füllt und durch die
weit zurückweichende Landschaft rechts vorwärts gedrängt wird, indem zugleich ein Wölkchen mit
singenden Kinderengeln den Raum ober den Figuren füllt. Die tüchtige Modellierung der Gewänder,
die schon in dem ersten Bilde über Bonifazio hinausging, schließt sich hier enger als an diesen an
dessen Vorbild Tizian an und sucht in ihrer fast florentinischen Plastizität, die Lage der einzelnen
Körperteile scharf betonend. Tizians damaliges Entwicklungsstadium nicht nur zu erreichen sondern zu
überbieten. Dabei sind die P'altenmassen wuchtig. Beachtenswert sind die Verkürzungen. Josefs rechter
Arm mit seiner Hand, der Körper des Knaben mit dem übergreifenden Armchen sind Meisterstücke
der Zeichnung. Man merke auch auf das Lichterspiel auf dem Schöße der Madonna unter der linken
Hand mit dem Kissen; das ist schon ganz der spätere Bassano (auf unserer kleinen Abbildung ist freilich
nur eine Andeutung davon zu sehen). Das gut gemalte Lamm tritt nicht mehr störend hervor sondern
ordnet sich dem Gesamteindruck unter. Die Ruine möchte zu dem Glauben verleiten, daß sich hier
ein Architekturmaler entwickle; sie ist aber nur ein Beweis für die Aufnahmsfähigkeit des jungen
Mannes. Er will eben alle Elemente der venezianischen Malerei durcharbeiten. Mit diesem Bilde hat
er seinen Lehrer Bonifazio schon weit überholt.

Nun beginnt eine Periode für ihn, wo er auf Grundlage dessen, was er bisher geschaffen, eine
neue Art der Komposition ausbildet. Der Gegenstand bleibt derselbe, die Anbetung der Hirten. Das
Bild in Hampton-Court i63 und das der Ambrosiana Nr. 226 behandeln diesen Vorwurf. Die Anbetung
der Könige in Edinburgh schließt sich an. Er wird jetzt phantastischer als sonst. Das heißt, er baut in
dieser Zeit seine Kompositionen nicht allein auf tiefes Naturstudium, dessen Resultate er in seiner
Phantasie zu einem Abbilde der Wirklichkeit vereinigt, sondern er fügt frei erfundene Elemente ein,
wie wallende Schleier und dergleichen. Er füllt mit seinen Figuren fast das ganze Bild, läßt die Tier-
köpfe in die Silhouette der Gruppe hineinwachsen und verdrängt die Landschaft fast ganz. Eine neue
Farbenskala, in der der Gegensatz von Taubengrau und Rot eine Rolle spielt, tritt auf. Mit solchen
Neuschöpfungen, wo der Zusammenhang mit Bonifazio schon verwischt ist, kommt er 1531 in
seine Heimat zurück und erntet das Lob seiner Mitbürger.

1 Giambattista Verci, Notizie intorno alle vite e alle opere di pittori, scultori e intagliatori della cittä di Bassano,
Venetia 1775, p. 43.

s Es war im Winter 1894/5 m der Ausstellung von Werken der venezianischen Kunst in London in der New Galerie
als Nr. 224 unter dem Namen des Bonifazio.
 
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