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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Wickhoff, Franz: Aus der Werkstatt Bonifazios
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0101
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Aus der Werkstatt Bonifazios.

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Stefano Cernotto.

G. Ludwig bereichert unsere Kenntnis der venezianischen Malerei nicht allein durch die sorg-
same Mitteilung von Urkunden sondern mit Erfolg richtet er seinen Eifer auch dahin, verlorene und
vergessene Kunstwerke wieder an das Licht zu ziehen. So rettete er in der Kirche SS. Giovanni e
Paolo in Venedig den heiligen Petrus von Stefano Cernotto, der dort zusammengebogen und
vernachlässigt für die Geschichte der Kunst verloren war. Ludwig ließ das Bild wieder herstellen,
entdeckte den darauf befindlichen richtigen Namen des Künstlers und die Jahreszahl 1536.1 Es ist das
einzige bezeichnete und datierte Werk des Künstlers. Ludwig brachte auch eine Reihe von Urkunden
bei, die uns über die Lebensdaten des Malers unterrichten.2 Stefano de Cernotis war als Sohn eines
Ser Francesco auf der dalmatinischen Insel Arbe geboren, im Jahre 1530 schon verheiratet und wird
am 26. Oktober 1548 als verstorben erwähnt.

Der heil. Petrus steht mit Buch und Schlüssel in den Händen in einer Landschaft, die ein san-
diges Gestade darstellt. Schon mit dieser ausgezeichneten Darstellung des Lido ragt er hoch über
Bonifazio hinaus, aber nicht, wie Bassano, als Schüler, der den Meister überholt, sondern als ein
Künstler, der von anderer Grundlage ausgeht und sich nur in der Gesamtdisposition Bonifazio nähert,
weil er in den Amtsräumen, wozu Bonifazio das Schema der Dekoration gegeben hatte, diese Dekora-
tion fortzusetzen hatte. Das Bild hat ein ganz eigentümliches Kolorit, das sich von dem Bonifazios
scharf unterscheidet. Das Kleid des Heiligen ist grau, der Mantel strohgelb, auch der schmale Schein
um das bronzefarbene Haupt ist gelb, ja die Figur und die Landschaft sind von einem schwefeligen
Lichte bestrahlt. Nicht minder bedeutend als dieser Petrus ist sein Gegenstück, der heilige Paulus in
der Akademie in Wien.3 Er ist als Werk des Stefano Cernotto schon von den alten Führern be-
zeichnet, die nur den Namen des Künstlers fälschlich Carneto schreiben. Ludwig wies das Jahr 1532
als Entstehungsjahr des Bildes nach. Das Kolorit wird von dem Kontraste von Zimtfarbe und Lauch-
grün bestimmt; es erinnert an das der Jugendbilder des Paris Bordone, mit dem Cernotto mancherlei
gemein hat. Von besonderer Bedeutung ist auch auf diesem Bilde die Landschaft, eine Gebirgsgegend
mit reicher Staffage im Mittelgrunde.

Zwischen diesen Bildern der beiden Apostelfürsten füllte im zweiten Zimmer des Magistrato del
Monte Novissimo eine Darstellung der Vertreibung der Tempelschänder zwei Arkaden der Wand
aus. Es befindet sich jetzt, zu einem Rechtecke formiert und dadurch beträchtlich mi!3handelt, in der
Antichiesetta des Dogenpalastes. Von den alten Führern wird es dem Bonifazio zugeschrieben.
Ludwig, der diese Bezeichnung beibehält, setzt das Bild um 1534.4 Die zahlreichen Figuren verteilen
sich in vier Gruppen. Links im Vordergrunde sind die zu Boden geworfenen Händler, deren Stühl-
chen Christus umgestürzt, deren Waren er auf dem Boden verstreut hat; die Gruppe setzt sich gegen
die Mitte des Bildes fort, wo Christus erscheint, einen Mann, der ein Brettspiel hält, mit einer Geif3el
zu Boden schlagend. Eine vertikale Mittellinie, durch das Bild gezogen, ginge durch den Nacken
Christi, ebendort, wo der Kopf ansetzt. Ein Knäbchen und ein Hündchen, die erschrocken davoneilen,
verbinden diese Gruppe mit der Gruppe rechts. Dort steht der Tisch eines Wechslers mit einer Anzahl
von Kunden. An dem abgekehrten Rande des Tisches eilt ein Priester vorbei, er drängt die Kunden
zurück und fordert sie entsetzt zum Verlassen des Tempels auf. Diese aber wollen nicht weichen, mit
-sprechenden Gebärden weisen sie den Mahner ab. Der Wechsler, der uns den Rücken kehrt, steht an
der zum Beschauer gewendeten Seite des Tisches. Er ist besorgt, streicht mit der Linken schleunig das

1 Jahrb. der kgl. preuß. Kunstsamml., Bd. XXII, S. 191; abgebildet S. 190.

2 Ebenda, S. 192 f.

3 Bd. XXIII, S. 47; abgebildet Bd. XXII, S. 190.

* Bd. XXIII, S. 47; abgebildet in der ursprünglichen Form Bd. XXII, S. 191; photographiert in seiner jetzigen Gestalt
von Anderson in Rom, Nr. H773.

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