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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Wickhoff, Franz: Aus der Werkstatt Bonifazios
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0105
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Aus der Werkstatt Bonifazios.

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Seiten des geblendeten Saulus
auseinanderstieben, sind die
Mehrzahl raffaelische Gestalten;
schlanke junge Männer, viel-
fach in Rückansicht, anmutig
und kraftvoll in ihrer schleu-
nigen Bewegung, weisen sie
auf eine Studiermappe, die in
den Stanzen gefüllt wurde. Ja
die ganze Komposition deutet
auf die Bekanntschaft mit Raf-
faels Attila vor Rom, wenn
auch nicht eine einzige Figur
getreu kopiert wurde. Das Bild
ist, wie die Gesichtstypen deut-
lich beweisen, von Bonifazios
eigener Hand. Es ist heute
schlecht genießbar, weil es mit
einer roten Salbe aus Berbe-
ritzensaft oder einer anderen
Substanz, die sein veneziani-
sches Feuer erhöhen sollte, be-
schmiert ist. Ich kenne kein
venezianisches Bild, das im
ganzen und einzelnen mehr an
Raffael erinnern würde, womit
ich nicht sagen möchte, daß
Bonifazio selbst in Rom ge-
wesen wäre. Ein wandernder
Malergeselle mag ihm die Mo-
tive gebracht haben. Mitten in

dieser Gestalten- und Linienschönheit klafft eine häßliche Spalte, ausgefüllt von dem Pferde des Saulus
mit seinem zurücksinkenden Reiter und von dessen nach vorwärts eilenden Speerträger, Figuren, Ver-
kürzungen und Bewegungen, die ebenso gemein und häßlich sind wie die anderen schön und hoheits-
voll. Ich glaube nicht, daß wir das Bild vor das Jahr 1532 setzen dürfen, wo Marc Antonio Mi-
chiel bei M. Andrea di Odoni in Venedig eine Transfigurazione di San Paolo von Bonifazio sah.1
Es scheint mir im Gegenteile dem Kindermorde in der Akademie in Venedig am nächsten zu
stehen, wo römische Soldaten von gleichem Adel der Haltung und Bewegung vorkommen. Für dieses
Bild hat Gustav Ludwig als Jahr der Anfertigung 1545 ermittelt.2 Nicht viel früher dürfte die Be-
kehrung Pauli in den Uffizien fallen. Dieselben rohen Typen, dieselbe Gewaltsamkeit in der Bewe-
gung und Verkürzung, wie in der Mittelgruppe dort, finden wir auf der Auferstehung in der Ga-
lerie von Stuttgart wieder, die mit dem Namen des Antonio Palma bezeichnet ist (Fig. 4).3 Es
war wieder Giovanni Morelli gewesen, der diesen vergessenen Künstler, den Neffen des Palma
Vecchio, den Vater des Palma Giovane, den der Ruhm des Oheims und des Sohnes verdunkelt
hatte, aus der Dunkelheit zog und auf seine beiden erhaltenen Werke, auf die Auferstehung in Stutt-

Fig. 6. Kirchenfahne von Antonio Palma in Serinaita (Rückseite).

1 Notizia d' opere di Dissegno, Bassano 1800, p. 62.

2 Bd. XXIII, S. 54.

3 Abgebildet bei Ludwig, Bd. XXII, S. 185.

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