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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Premerstein, Anton von: Anicia Iuliana im Wiener Dioskorides-Kodex
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0112
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io6

Anton von Premerstein.

Quadrate, das eine senkrecht, das andere übereck gestellt, eingeschrieben, die von kunstvoll verschlun-
genen Bandstreifen — ebenfalls Gold auf Schwarz aufgelegt — begrenzt werden. Durch diese Glie-
derung entstehen (I) ein großes achteckiges Mittelfeld, um dieses herum (II) acht dreieckige Quadrat-
abschnitte und mit diesen alternierend (III) ebensoviele Kreissegmente. Im Mittelfelde (I) auf dunkel-
blauem Grunde die Hauptdarstellung: auf einem profilierten, parallelopipedischen Postamente, vor
welchem wir zwei zylindrische, oben offene vergoldete Behältnisse mit vergoldeten Handhaben — wahr-
scheinlich Meßgefäße, etwa für Getreide1 — erkennen, steht ein durchaus vergoldeter Prunksessel
ohne Rückenlehne, dessen zwei Vorderfüße nach auswärts gekehrte Adler bilden, mit purpurrotem
Sitzkissen belegt. Darauf sitzt eine prächtig gekleidete Frauengestalt, die durch die unten zu erwäh-
nenden Buchstaben der Dreieckfelder als Iuliana bezeichnet wird, in Vordersicht, mit dunkelvioletten
Untergewändern, einem Uberwurf aus Goldstoff und eigentümlichem Kopfschmuck, auf deren Einzel-
heiten ich nochmals (S. n6ff.) zurückkommen werde. Die Füße stecken in scharlachroten Schuhen.

Die Rechte ist in der Geberde des Hinweisens ausgestreckt, die
» NierVv.-/; .^LÄyA Linke hält einen Kodex, dessen Deckel auf goldenem Grunde eine

weißgelassene Raute zeigt. Hinter der Estrade, zu beiden Seiten

der Iuliana, erblicken wir zwei allegorische Figuren. Links steht
c TOgOcJ"? ftr eine Frauengestalt in Vordersicht in weißem, mit goldenem Brust-

1} . . „ teil versehenem Untergewande, die im Bausche des aufgenomme-

nen olivengrünen Obergewandes einen Haufen von Goldmünzen
d ^WXncTIh trägt;2 zu beiden Seiten des Kopfes ist mit weißer Farbe, die auch

t-Ci/vi für die übrigen Beischriften verwendet wurde, die Benennung

MErAA[0-*IT]X]A (Faksimile a) aufgetragen, die im Felde
rechts oberhalb des Kopfes von einer späteren Hand des XV. Jahrhunderts in Minuskeln wiederholt
wurde. Rechts eine weibliche Figur mit weißem Untergewande und rosafarbigem Mantel, in halber
Wendung nach rechts, den Kopf der thronenden Iuliana zugekehrt; sie setzt den linken Fuß auf
eine stufenartige Erhöhung (Bema) und weist mit dem Zeigefinger der rechten Hand auf einen rot
eingebundenen Kodex, den die Linke auf den linken Oberschenkel aufstützt; beiderseits des Kopfes die
Beischrift <I>PON[H]-CIC (Faksimile b), die links darüber im Felde in Minuskeln wiederholt ist.
Links von dem Postament kniet eine klein gebildete weibliche Gestalt in weißem Gewände, welches
den Kopf verhüllt und im Rücken mit einem goldfarbenen Vertikalstreifen versehen ist, mit roten
Schuhen, die in der Haltung der etikettemäßigen adoratio (srpoffziij'j/ö'tg) auf den rechten Fuß der
Iuliana sich herabbeugt; über ihr in zwei Zeilen [ET]XA[P]ICTIA | TEXNQN (Faksimile d). Zwischen
ihr und der als MsY<Aotiuyja bezeichneten Figur steht auf dem Postament ein nackter Flügelknabe nach
rechts; er hält der Iuliana einen aufgeschlagenen Kodex entgegen, auf welchen sie mit dem aus-
gestreckten rechten Arme, die Innenfläche der geöffneten Hand nach auswärts gekehrt, hinweist; der

der bild. Künste III2, S. 237 f.; O.Jahn, Abhandl. der sächs. Ges. der Wiss., phil.-hist. Kl. V, S. 3oi ff.; V. Gardthausen,
Griech. Palaeographie (1879), S. 150 f.; The Palaeographical Society, p. IX—XIII zu pl. 177; J. H. Middleton, Illuminated
manuscripts in class. and mediaeval times (Cambridge 1892), p. 48 ff.; E. M. Thompson, Handbook of Greek and Latin
palaeography (i8g3), p. 152 f.; W. Wattenbach, Anleitung zur griech. Palaeographie, 3. Aufl., S. 34; Woltmann, Geschichte
der Malerei I, S. 184 f.

In der Ausstellung der Miniaturen, die Hofrat Josef Karabacek in den Jahren 1901 und 1902 veranstaltete, war dieses
Bild aufgeschlagen; vgl. «K. k. Hofbibliothek, Katalog der Miniaturen-Ausstellung», 4. Aufl., Wien 1902, S. I f., n. 2. — Drei
von den Miniaturen, welche dem Bilde der Iuliana vorangehen (f. 2"—5V), sind jetzt sehr gelungen reproduziert bei J. J. Bernouilli,
Griech. Ikonographie II (1901), Taf. XXXI—XXXIII (dazu S. 214—222). Die beiden Blätter f. 2V und 3T, auf denen die Bildnisse
von je sieben Ärzten und Botanikern erscheinen, können eine gute Vorstellung davon geben, wie das biographische Bilder-
werk des M. Terentius Varro, die Imagines oder Hebdomades, in welchem ebenfalls je sieben Berühmtheiten zu einer Gruppe
zusammengefaßt waren, ausgesehen haben mag; über dieses neuerdings E. Bormann, Arch.-epigr. Mitt. XVII, S. 232. Vgl.
H. Brunn in F. Ritschis Opuscula III, p. 580; G. Thiele, Antike Himmelsbilder, S. 112 f.; Bernouilli, a. a. 0. I, S. XII.

1 Unger, a. a. O., S. 370 und Kondakoff deuten sie vielmehr als Behälter für Bücherrollen, die aber dann doch oben
in der Öffnung sichtbar werden müßten, was nicht der Fall ist.

2 Dasselbe Schema bei den Personifikationen der Reichsprovinzen, welche Steuern in Geldkörben (fisci) herbeibringen,
in der Notitia dignitatum (um das J. 400) or. 3, 2, 3 (p. 9 ed. Seeck); occ. 2, 2—4 (p. 108 S.).
 
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