Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

DOI Heft:
I. Theil: Abhandlungen
DOI Artikel:
Premerstein, Anton von: Anicia Iuliana im Wiener Dioskorides-Kodex
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0121
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Anicia luliana im Wiener Dioskorides-Kodex.

115

Rangzeichen einer consularis femina Anspruch gehabt.1 Während jedoch der Konsulat im Westreiche
höher im Range stand als der Patriziat,2 stellte im Ostreiche ein Gesetz des Kaisers Zeno, welches in
den Kodex Justinians übergegangen ist, den sublimem patriciatus honorem, qui ceteris omnibus ante-
ponitur, über den Konsulat und die höchsten kaiserlichen Amter.3 Demnach kann es kaum zweifelhaft
sein, daß das Porträt Iulianas durchaus mit den Rangzeichen des Patriziates, als den höchsten, die ihr
dauernd zukamen, ausgestattet ist. Dies läßt sich denn auch, obwohl es an einer zusammenhängenden
literarischen oder bildlichen Uberlieferung über die patrizischen Insignien zu Beginn des VI. Jahr-
hunderts fehlt, im einzelnen mit aller wünschenswerten Sicherheit
nachweisen.

Als eigentlichstes Insigne des Patriziates hat der prunkvoll
eingebundene Kodex zu gelten, den luliana eigenhändig hält, dessen
Deckel auf Goldgrund eine anscheinend weiß gelassene Raute zeigt.
Sicherlich soll damit nicht etwa bloß die Bibliophilie oder das lite-
rarische Interesse der luliana angedeutet werden; dazu reichen der
Kodex in der Hand der Phronesis und das vom Pothos emporgehal-
tene Pflanzenbuch vollauf aus. Codices mit gleichem Einbände er-
scheinen wiederholt unter den Insignien der höchsten Beamten,
welche die um das Jahr 400 redigierte Notitia dignitatum abbildet
(Fig. i);4 sie stellen hier kaiserliche Ernennungspatente (codicilli

oder diplomata) dar. Auch die Patrizier wurden durch solche codicilli ernannt.5 Die Überreichung
derselben durch den Kaiser selbst6 oder durch einen kaiserlichen Abgesandten7 ist der juristische
Formalakt, durch welchen dieser Briefadel der nachkonstantinischen Zeit in der Person des Beförderten
begründet wurde; die patrizischen Ehrenrechte und Privilegien nehmen ihren Anfang ab imperialibus
codicillis praestitis.* Das Kletorologion des Philotheos vom Jahre goo9 beschreibt sie als Kh<k/.zq, £Xs-
oavT'.vai xexoapLT)(xevat cuv xb>§tx£XXet( syysypowj.svc'.c si; tu^ov tou viptou. Auch die persönlich zu patriciae
ernannten Damen empfingen solche lihx/.zc. \j.z-h töv /.wSixsXXcov aus der Hand des Kaisers.10 Diese sehen
wir offenbar in der Hand der luliana; sie bestätigen die schon oben (S. 114) begründete Vermutung,
daß luliana den Patriziat nicht ex lege durch ihren Mann, sondern durch persönliche Verleihung er-
halten hatte.

f\

Ö













Li J

Fig. I. Codicilli
in der Notitia dignitatum, or. II, 1.

1 So hat denn auch Ducange, a. a. O. (oben, S. 105, Anm. 1), tatsächlich angenommen, daß luliana als consularis femina
mit dem sogenannten Lorum (unten, S. 120) dargestellt sei.

2 Die Belege bei Hirschfeld, S. 594, Anm. 8.

3 Cod. Iust. XII, 3, 3 pr. Vgl. auch Cod. lust. III, 24, 3; XII, 3, I, 3; Nov. Iust. 62, 2, 1; Hirschfeld, a. a. O. Zur
Stellung des Patricius-Titels in der Ämterlaufbahn W.Meyer, S. 11, 56.

4 Orient. 11, 1; 12, 1; i3, 1; 14, 1; 15, 1, 2. Occid. 2, 1 ; 6, 1; 9, 1; 10, 1; 11, 1; 12, 1; i3, r, 2. Dieselbe Bedeu-
tung hat wohl der Kodex, den der vornehme Knabe auf dem Diptychon zu Monza (E. Molinier, a. a. O., I, pl. I) im linken
Arme trägt; anders C. Jullian, Melanges d'archeologie II (1882), p. 23f.

5 Mabillon, De re diplom. II, c. 3; W. Rein, a. a. O., S. 3j 1; Stückelberg, a. a. O., S. 59 f., 61 mit Anm. 5, 6. Der Text
solcher an die Beförderten adressierten Dekrete ist uns erhalten bei Cassiodor, z. B. var. I, 3; III, 5; VI, 2; VIII, 9; VIII, 21.
Gleichzeitig damit wurde ein amtliches Verständigungsschreiben an den Senat (von Rom oder Konstantinopel) gerichtet; vgl.
Cassiodor var. I, 4; III, 6; VIII, 10; VIII, 22. Darauf bezieht sich vielleicht Georgios Kodinos de signis, p. 40 Lamb. (Migne,
Patr. gr. CLVII, c. 501 B): zo aavaxov, 01 |j.ev Xsyouai, 1? «PX'fc *)v T<"v xti>8uUXXtnv yuXaücrrjpiov. i/.ziaz y*P °- totTpixioi IXcSp.-
ßavov aOiou; £a»s KtovaTavtEvou.

6 Konstantinos Porphyrogennetos de cerimoniis I, 48, 2 f.; 48, 3 ff.; II, 52, 1; II, 52, 1 (iä xcoSi/'JXXia und xa;
jrXoaa?).

7 Apollinaris Sidonius epist. V, 16, I (J. 474/75); vgl. unten, Anm. 8.

8 Cod. Iust. XII, 3, 5 pr. = Instit. I, 12, 4; Nov. Iust. 62, 2, 5; Sidonius, a. a. O.: codicillorum, quorum in adventu
fratri etiam tuo . . . honor patriciatus acceäit. Philotheos bei Konstant. Porph. II, 52, I, p. 411 R. rechnet den Patriziat zu
den Würden, die durch Überreichung eines Insigne übertragen werden (äSji<i|jLara xä oiä ßpaßawv 7tap£^d(j.Eva; a'i 81a ßpocßsuov
äpai; vgl. p. 409 R.); als das ßpaßstov des Patriziates nennt er eben die vom Kaiser eigenhändig überreichten Elfenbeintafeln
mit den codicilli.

9 Bei Konstantinos, a. a. O. II, 52, 1 (p. 411 R.).

10 Konstantinos Porph., a. a. O. I, 50, 2, 3; Philotheos, a. a. O., p. 412 R.

XXIV. 18
 
Annotationen