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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Über einige Antiken Ghibertis
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0142
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i36

Julius von Schlosser.

Polyklet gerade so als Modell gedient habe wie Phryne dem Praxiteles. Darüber sind nun keine
weiteren Worte zu verlieren; immerhin ist dieser Passus aber für die anekdotische Auffassung des
Ganzen charakteristisch.

Jedem, der nur einigerma(3en mit antiken Denkmälern vertraut ist, werden bei dieser Gelegenheit
sofort jene hellenistischen, in der Mehrzahl nach Attika gehörenden, sogenannten Totenmahlreliefs
einfallen, die man jetzt mit dem Heroenkultus in Verbindung bringt.1 In der Tat hat man schon
früher, um von anderen haltlosen Vermutungen zu schweigen, auf ein Bildwerk dieser Art geraten;
das dürfte nun seine Bestätigung finden.

«. . . Ein wohlbekanntes Bild
Im Marmorglanze; Glanz vergang'ner Tage.
Der Vater ruht auf seinem breiten Polster,
Die Frau im Sessel, Kinder steh'n umher,
Von jedem Alter, Knechte tragen zu,
Das Pferd sogar, es wiehert an der Pforte:
Die Tafel ist besetzt, man schwelgt und ruht.»

(Des Epimenides Erwachen II, 6.)

Der gewöhnliche Typus jener Reliefs ist, von dem wechselnden Beiwerk abgesehen, das uns hier
so wenig interessieren kann als die richtige Deutung dieser Szenen, in der Tat ziemlich einförmig. Der
Tote erscheint mit nacktem Oberkörper, auf einer Kline gelagert; auf deren Fußende selbst oder aber
auf einem Schemel daneben sitzt die Gattin, nach griechischer Frauensitte züchtig verhüllt und nur in
wenigen, späten oder zweifelhaften Exemplaren mit entblößtem Oberkörper. Auch das ist, beiläufig be-
merkt, ein Moment des Verdachtes gegen Ligorio, der seine angebliche Venus als völlig nackt be-
schreibt. Zuweilen lagert ein zweiter, jüngerer Mann neben dem Verstorbenen, von diesem wohl
gelegentlich, wie auf einem Tarentiner Relief, zärtlich umfaßt. Hier war die irrige Deutung eines
Liebesverhältnisses zwischen Mann und Frau oberflächlichen Beobachtern besonders nahegelegt.

Für uns, die wir die Sache ja nicht vom archäologischen Standpunkte sondern allein von dem
der Renaissance aus betrachten wollen, ist die Deutung Ligorios, so absonderlich sie sich gibt, von
nicht geringem Interesse. Franz Studniczka in Leipzig, der sich gleichfalls schon seit längerer Zeit
mit dieser kuriosen Antike beschäftigt hat, macht mich darauf aufmerksam, daß sie auf eine viel-
bewunderte, von dem sittsamen Virgil mit ziemlicher Pikanterie ausgemalte Szene der Aeneis zurück-
gehen dürfte, in der Venus ihre ultima ratio aufbietet, um den sauertöpfischen und reichlich
behörnten Gemahl zu bewegen, daß er ihrem Lieblingssohne Aeneas die Waffen schmiede (Aeneis
VIII, v. 369 sqq.) — es sind, nebenbei gesagt, die nämlichen Verse, denen der geistreichste Schrift-
steller des XVI. Jahrhunderts, Montaigne, eines der längsten und nachdenklichsten Kapitel seiner Essays
gewidmet hat.

Man meinte also in den Kreisen der Sammler und Gelehrten der Renaissance diesen Reliefs
zweifellos einen stark erotischen Sinn unterschieben zu dürfen; Ligorio sagt das ganz unverhüllt. Daß
derlei auch heute noch sehr nahe liegt, beweist der merkwürdige Umstand, daß ein aus Rhodos
stammendes und 1890 aus der Sammlung Millosicz erworbenes Relief dieser Art in der Wiener
Antikensammlung (Inventar-Nr. 63g, Fig. 2) sich als modern überarbeitet erwiesen hat, in der ausge-
sprochenen Absicht, es pikant und für naive (oder nicht naive) Sammler interessanter zu machen. Die
auf der Kline neben dem gelagerten Toten sitzende Frau, die ursprünglich voll bekleidet war, wurde
nämlich, nicht gerade sehr geschickt, in eine Figur mit nacktem Oberkörper umgewandelt; ebenso,

1 Vgl. Roschers Mythologisches Lexikon s. v. Heros, und das ältere Schriftchen von Pervanoglu, Das Familienmahl
auf altgriechischen Grabsteinen, Leipzig 1872. — Über die epikuräische Auflassung des Motivs auf späteren römischen
Sarkophagen vgl. O. Jahn in den Berichten der königl. sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften, phil.-hist. Klasse 1851,
175 f. Ein Exemplar dieser Art ist im Museum des Laterans (Garrucci, Mus. Lateran., tav. XXX; Benndorf-Schöne, Antike
Bildwerke, nr. 481).
 
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