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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Über einige Antiken Ghibertis
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0144
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i38

Julius von Schlosser.

Das Letto di Policleto ist also erotisch aufgefaßt worden, gleichviel mit welcher Berechtigung.
Scheint doch schon in dem Worte Letto, Lit, nach romanischem Sprachgebrauche (figlio di primo letto
u. a.) ein Hinweis auf jene Operation zu liegen, der der alte Spötter Montaigne eine seiner bedenk-
lichsten Zwickfragen gewidmet hat. Jedem Sammler von Stichen ist ferner das berühmte, in den
öffentlichen Sammlungen bei Seite gebrachte Blatt des Rembrandt bekannt, das unter dem Namen des
«Lit francais» geht. Vielleicht wird nun manches in der Geschichte des Letto verständlicher: das
anscheinende Sekretieren des Stückes in der Carpischen Sammlung, die Art, wie es in einer Kassette
verwahrt wird, — die hübsche Geschichte aus Wahrheit und Dichtung kommt uns in den Sinn, wie
der junge Goethe vom Königsleutnant Thorane über einem solchen geheimen Kästchen ertappt wird.
Dann der in Besancon zurückbehaltene Wachsabguß und endlich, nicht zu vergessen, Rudolfs II.
eifriges Streben, beide Exemplare in seinen Besitz zu bringen. Man weiß ja genug von den Neigungen
des kaiserlichen Herrn, um ihm nicht allzu bitteres Unrecht anzutun, wenn man mutmaßt, daß neben
antiquarischer und Kunstbegeisterung auch ein gewisser Geschmack nicht ganz unbeteiligt gewesen
sein dürfte, ein Geschmack, der schon Rudolfs Zeitgenossen nicht verborgen geblieben war. Der esten-
sische Gesandte Manzuolo empfiehlt seinem Herzoge einmal ausdrücklich, dem Hans von Aachen
doch ja ein schönes Gemälde, «das zugleich etwas sinnlich sei», für den Kaiser mitzugeben;1 der gute
Rat ist, wie wir früher gesehen haben, befolgt worden. Sehe man sich doch des braven Hofmalers
Giuseppe Heinz Venus in der kaiserlichen Galerie an, die trotz ihrer hölzernen Lagerung durch den
Kontrast einer wenn auch dürftigen Nacktheit mit dem reichen Geschmeide, das ihre einzige Be-
kleidung bildet, sehr absichtlich wirkt und jedenfalls den Geschmack des kaiserlichen Bestellers wieder-
spiegelt. Gewisse abgebrauchte Schlagworte schwirren uns, zumal bei einem Rudolf IL, leicht durch
den Sinn, obwohl wir Moderne durch einen Felicien Rops und seinesgleichen erheblich stärkere Dinge
vertragen gelernt haben.

Doch wäre moralischer Jammer hier umsoweniger am Platze, als die Renaissance nur höchst selten
die Grimasse seniler Lüsternheit zeigt. Das «Bett des Polvklet» ordnet sich durchaus seiner Deutung
nach den zahllosen Darstellungen der Götterliebschaften ein; Pirro Ligorio sagt uns das klärlich. Diese
aber sind von dem Kreise Raffaels an bis zu den Carracci und weiter eines der beliebtesten Themata
der Palastmalerei in der Renaissance, die niemals Bedenken getragen hat, sie ganz frei zur Schau
zu stellen, — heute kommen uns freilich auch die verfänglichsten Situationen in ihrer akademischen
Monumentalität zumeist frostig genug vor, ganz abgesehen natürlich von solchen Ausnahmeerscheinun-
gen wie Corregios Jo, in denen ein gewaltiges künstlerisches Brio jeden, der nicht in der Elefanten-
haut hoffnungslosen Philisteriums steckt, über schwächliches Vorurteil hinwegtragen muß. An ande-
res, vermutlich Bedenklicheres, aber auch weit Intimeres wie Marc Antons nach Giulio Romano ge-
stochene Blätter zu des Aretin Sonetti lussuriosi, die dem Künstler so schlimmen Lohn eintrugen, sei
hier nur im Vorübergehen erinnert.2

Rudolfs II. Tage reichen indessen schon in jene Periode hinein, in der die Wirkungen kirchlicher
Reaktion sich geltend zu machen begannen, und es möchte nicht ganz ohne Bedeutung sein, daß in
diesen Zeiten einer strengeren, nicht mehr naiven und schwerlich gesünderen Lebensanschauung die
Spur des Letto di Policleto verschwindet. Ist das bloß ein Zufall gewesen? — quaeritur. Noch ein
Erzherzog Ferdinand hatte, auch darin ein Erbe der Renaissance, mit solchen Dingen nicht Ver-
steckens gespielt und in seiner merkwürdigen, noch heute im kunsthistorischen Hofmuseum bewahrten
Sammlung von Kupferstichen auch einen Band «Amatoria» nicht vergessen. Es ist bezeichnenderweise
der einzige, der heute nicht mehr vorhanden ist; sehr wahrscheinlich wurde er in jener späteren Zeit,
derselben, die dem unsterblichen Typus des Tartuffe zum Leben verhalf, als anstößig empfunden und
von irgend einer frommen Dame oder deren Beichtvater beseitigt. Es ist ja bekannt, welchem Schick-
sale Correggios Leda, auch sie einst ein Juwel der Rudolfinischen Kunstkammer, zum Opfer gefallen ist
— am Hofe des Regenten von Orleans, was alles sagt.

1 Venturi im Rcpcrtorium, a. a. O., S. 10.

2 Bertani, V. Aretino c le sue opere, Sondrio 1901, p. 40.
 
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