Über einige Antiken Ghibertis.
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wenn man sie mit der jenes alten Künstlers von Pisa, der die Sieneser Venus zu kopieren gesucht hat,
vergleicht.
Auf den ersten Blick erscheint die Anleihe, die der jugendliche Künstler in dem schönen
vielleicht nur zu eleganten Akt seines Isaak bei der Antike gemacht hat, genau so zufällig, äußerlich
und nebensächlich als in der vorhergegangenen «mittelalterlichen» Periode, sowie etwa der Illu-
minator des Herzogs von Berry gelegentlich den Perser von Aix als Aktmodell für einen Adam be-
nützt, wie Niccolö Pisano die alten Sarkophage von Pisa als Formenschatz ausbeutet oder selbst Bru-
nellesco noch den Dornauszieher als Episodenfigur frei verwendet. Dazu kommt, daß gerade bei Ghi-
berti, in dem überdies unter allen Zeitgenossen die gotische Tradition am stärksten nachklingt, ab-
gesehen von dieser sehr freien und souveränen nur sehr wenig andere Reminiszenzen aus der Antike
nachzuweisen sind; und selbst hier wäre viel mehr von einer Anlehnung denn von einer Entlehnung
zu reden, da ein bestimmtes Vorbild wie der Gaddische Torso bloß hypothetisch, nur deswegen, weil
er aller Wahrscheinlichkeit nach im Besitze Ghibertis (oder seines
Lehrvaters) war, angerufen werden kann. Heinrich Brockhaus hat vor
kurzem in seinen schönen «Forschungen über Florentiner Kunst-
werke»1 auf einige antikisierende Motive von der «Paradiesestür» Ghi-
bertis hingewiesen; das interessanteste darunter ist wohl das ent-
zückende Figürchen einer biblischen Heroine (Fig. i3), die augen-
scheinlich einer römischen Gewandstatue im Typus der sog. Pudi-
citia nachempfunden ist. Vielleicht noch charakteristischer für die
antiker Form sich nähernde Art Ghibertis ist ein höchst energischer
Medaillonkopf der ersten Baptisteriumtür, auf den mich ebenfalls
Brockhaus aufmerksam macht und in dem der damals im blühend-
sten Mannesalter stehende Künstler wohl einen hellenistischen Apollon-
typus verwertet hat (Fig. 11). Wie in jener Gewandfigur die gotische
Linie durchschimmert, so trägt dieser Kopf über dem wallenden Stirn-
haar das Diadem der Engel des Trecento. Ghiberti steht in der Mitte
wie zu Ende seiner Laufbahn der Antike noch gerade so gegenüber
wie in seinem Jugendwerk, dem Konkurrenzrelief: sie schwebt als
Ideal in seiner Erinnernng, als Ideal, zu dem er sich aber durchaus
selbständig und eigenartig verhält.
Vergleichen wir indessen einmal die Venus von Pisa mit dem Isaaktorso des Ghiberti. Die
Anlehnung an die Antike ist bei ihr viel stärker, sichtlicher, bestimmt nachweisbar; und dennoch ist das
Motiv nur rein äußerlich, ganz im Sinne des Mittelalters, angeeignet. Auch wenn man nicht an ein fast
unversehrt erhaltenes Original wie die Kapitolinische Venus denkt sondern an die viel vager, flacher, all-
gemeiner aufgefaßte Kopistenarbeit der Mediceerin mit ihrer rokokohaften Grazie, ist der Abstand so un-
gemein groß, daß wir gegen den Trecentisten leicht ungerecht werden. Ganz abgesehen davon, daß die
Schultradition der Pisani überall durchklingt, vor allem in dem Typus des Kopfes mit dem charakteristi-
schen Stirnband, in der flachen Augenbehandlung und dem Pathos des Ausdrucks, der durch die über-
stark angegebenen Falten an den Nasenwinkeln etwas Schmerzliches bekommt, ganz abgesehen davon,
daß auch diese Maske letzten Endes die Umformung eines antiken Typus darstellt, so ist die Behand-
lung der Formen ganz leer, oberflächlich, von einer eigentümlichen Stumpfheit, die gewiß nicht auf
äußere Unbilden zurückzuführen ist; sie sind wie durch einen Schleier gesehen, auf gut Glück erfaßt.
Wenn man auch die leblose Behandlung der Hände und Füße der nur mäßigen Individualität des Künst-
lers zuschieben wollte, so deutet doch sehr vieles andere auf eine Zeit, der so wenig wie an einem indi-
viduellen Porträt an der lebendigen Anschauung des nackten Körpers viel gelegen war und die diesen
auch bei gegebenem Vorbilde nur in allgemeinen schematischen Umrissen festzuhalten unternahm. Wenn
Fig. 13. Isaak aus dem Kon-
kurrenzrelief des Ghiberti.
1 Leipzig 1902, Seite 20 (mit drei Abbildungen).
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wenn man sie mit der jenes alten Künstlers von Pisa, der die Sieneser Venus zu kopieren gesucht hat,
vergleicht.
Auf den ersten Blick erscheint die Anleihe, die der jugendliche Künstler in dem schönen
vielleicht nur zu eleganten Akt seines Isaak bei der Antike gemacht hat, genau so zufällig, äußerlich
und nebensächlich als in der vorhergegangenen «mittelalterlichen» Periode, sowie etwa der Illu-
minator des Herzogs von Berry gelegentlich den Perser von Aix als Aktmodell für einen Adam be-
nützt, wie Niccolö Pisano die alten Sarkophage von Pisa als Formenschatz ausbeutet oder selbst Bru-
nellesco noch den Dornauszieher als Episodenfigur frei verwendet. Dazu kommt, daß gerade bei Ghi-
berti, in dem überdies unter allen Zeitgenossen die gotische Tradition am stärksten nachklingt, ab-
gesehen von dieser sehr freien und souveränen nur sehr wenig andere Reminiszenzen aus der Antike
nachzuweisen sind; und selbst hier wäre viel mehr von einer Anlehnung denn von einer Entlehnung
zu reden, da ein bestimmtes Vorbild wie der Gaddische Torso bloß hypothetisch, nur deswegen, weil
er aller Wahrscheinlichkeit nach im Besitze Ghibertis (oder seines
Lehrvaters) war, angerufen werden kann. Heinrich Brockhaus hat vor
kurzem in seinen schönen «Forschungen über Florentiner Kunst-
werke»1 auf einige antikisierende Motive von der «Paradiesestür» Ghi-
bertis hingewiesen; das interessanteste darunter ist wohl das ent-
zückende Figürchen einer biblischen Heroine (Fig. i3), die augen-
scheinlich einer römischen Gewandstatue im Typus der sog. Pudi-
citia nachempfunden ist. Vielleicht noch charakteristischer für die
antiker Form sich nähernde Art Ghibertis ist ein höchst energischer
Medaillonkopf der ersten Baptisteriumtür, auf den mich ebenfalls
Brockhaus aufmerksam macht und in dem der damals im blühend-
sten Mannesalter stehende Künstler wohl einen hellenistischen Apollon-
typus verwertet hat (Fig. 11). Wie in jener Gewandfigur die gotische
Linie durchschimmert, so trägt dieser Kopf über dem wallenden Stirn-
haar das Diadem der Engel des Trecento. Ghiberti steht in der Mitte
wie zu Ende seiner Laufbahn der Antike noch gerade so gegenüber
wie in seinem Jugendwerk, dem Konkurrenzrelief: sie schwebt als
Ideal in seiner Erinnernng, als Ideal, zu dem er sich aber durchaus
selbständig und eigenartig verhält.
Vergleichen wir indessen einmal die Venus von Pisa mit dem Isaaktorso des Ghiberti. Die
Anlehnung an die Antike ist bei ihr viel stärker, sichtlicher, bestimmt nachweisbar; und dennoch ist das
Motiv nur rein äußerlich, ganz im Sinne des Mittelalters, angeeignet. Auch wenn man nicht an ein fast
unversehrt erhaltenes Original wie die Kapitolinische Venus denkt sondern an die viel vager, flacher, all-
gemeiner aufgefaßte Kopistenarbeit der Mediceerin mit ihrer rokokohaften Grazie, ist der Abstand so un-
gemein groß, daß wir gegen den Trecentisten leicht ungerecht werden. Ganz abgesehen davon, daß die
Schultradition der Pisani überall durchklingt, vor allem in dem Typus des Kopfes mit dem charakteristi-
schen Stirnband, in der flachen Augenbehandlung und dem Pathos des Ausdrucks, der durch die über-
stark angegebenen Falten an den Nasenwinkeln etwas Schmerzliches bekommt, ganz abgesehen davon,
daß auch diese Maske letzten Endes die Umformung eines antiken Typus darstellt, so ist die Behand-
lung der Formen ganz leer, oberflächlich, von einer eigentümlichen Stumpfheit, die gewiß nicht auf
äußere Unbilden zurückzuführen ist; sie sind wie durch einen Schleier gesehen, auf gut Glück erfaßt.
Wenn man auch die leblose Behandlung der Hände und Füße der nur mäßigen Individualität des Künst-
lers zuschieben wollte, so deutet doch sehr vieles andere auf eine Zeit, der so wenig wie an einem indi-
viduellen Porträt an der lebendigen Anschauung des nackten Körpers viel gelegen war und die diesen
auch bei gegebenem Vorbilde nur in allgemeinen schematischen Umrissen festzuhalten unternahm. Wenn
Fig. 13. Isaak aus dem Kon-
kurrenzrelief des Ghiberti.
1 Leipzig 1902, Seite 20 (mit drei Abbildungen).