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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 24.1903

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck
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https://doi.org/10.11588/diglit.5914#0168
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IÖ2

Max Dvorak.

in der Entwicklung der Malerei zu erörtern, lag diesen Schriftstellern ganz und gar ferne. In dem Ge-
dichte, welches Jean Lemaire um das Jahr 1510 unter dem Titel «La Couronne Margueritique» zu
Ehren der Statthalterin der Niederlande Margaretha verfaßte und welches ein kurzes Künstler-
verzeichnis enthält, wird Jan van Eyck als « roi des peintres» angeführt; doch hat dies in dem schwulsti-
gen Stile des Gedichtes umsoweniger Bedeutung, als Jan keinesfalls an erster Stelle, sondern mitten
unter anderen unbedeutenderen, mit ebenso hochtrabenden Epitheten bedachten Künstlern genannt
wird. Auch von Vasari erfahren wir nicht viel mehr. Er lobt wohl sehr die «bellissima inven-
zione» der neuen Malweise, welche er dem Jan van Eyck zuschreibt; über seine künstlerische Be-
deutung sagt jedoch auch er nichts weiter, als daß er seiner «buona pratica» halber ein in Flandern
sehr geschätzter Künstler gewesen sei. Ahnlich lautet auch die Meinung Guicciardinis, der sich auf
Vasari beruft.

Dennoch waren die Lebensbeschreibungen Vasaris, wenn auch nur mittelbar, die Quelle einer
neuen Auffassung der kunstgeschichtlichen Stellung des Jan van Eyck. Die Biographien des Vasari sind
das erste Werk der kunstgeschichtlichen Literatur, welches unter dem Einflüsse der neuen pragmatischen
Geschichtsschreibung entstanden ist. Alle älteren Berichte über Kunstwerke und Künstlerleben sind
mehr oder weniger zufällig und vereinzelt unter anderweitige Memorabilia eingetragen worden; wir
finden sie in annalistischen Aufzeichnungen und kunsttheoretischen Abhandlungen, in Reiseberichten
oder in Gedichten und Kommentaren zu diesen. Länger als anderswo hat sich da die mittelalterliche
Art der geschichtlichen Uberlieferung erhalten. Schließlich bemächtigte sich jedoch die allgemeine
große Errungenschaft des Humanismus: die wissenschaftlich-historische Untersuchung und die Be-
rücksichtigung des kausalen Zusammenhanges einer bestimmten Tatsachenfolge doch auch der Ge-
schichte der Kunst, wobei sicher ihre neue soziale Bedeutung und Wertschätzung nicht wenig ein-
gewirkt hat. Von besonderer Bedeutung war es, daß unter diesen neuen Einflüssen gleich ein so
hervorragendes Werk geschrieben wurde wie die Biographien des Vasari. Es begründete eine Literatur,
deren Ziele und Methode sich, man kann wohl sagen, bis in unsere Tage erhalten haben. Es sind die
Ziele und die Methode, die der gesamten humanistischen Geschichtsforschung eigen waren und die
unter dem Einflüsse der antiken Literatur entstanden sind. Was wir dieser neuen geschichtlichen
Literatur vor allem als Verdienst anrechnen: die objektivere Beurteilung der Ereignisse, kam für die
Zeitgenossen erst in zweiter Reihe in Betracht. Weit wichtiger war für sie, wie es auch nicht anders
möglich war, die neue Form der geschichtlichen Betrachtung und Erzählung. Man kann sich heute
kaum mehr vorstellen, welch ungeheurer Fortschritt darin lag, daß die annalistische Aufzählung der
Begebenheiten durch eine geschlossene einheitliche Schilderung des Lebenslaufes eines berühmten
Mannes oder des geschichtlichen Werdens einer bestimmten Epoche ersetzt wurde. Das war das
große Novum und, fügen wir gleich hinzu, der Selbstzweck der neuen historischen Literatur. Das
historische Buch ist wiederum wie in der Antike ein Teil der schönen Literatur geworden. Man be-
fragte die Denkmäler in erster Reihe nur zu dem Zwecke, um das Gerippe einer bestimmten litera-
rischen Form auszufüllen; wo die Quellen nicht ausreichten, da konstruierte man den Zusammenhang
nach eigenem Ermessen. Man ergötzte sich unbedenklich an schönen Reden, die erfunden, an an-
mutigen Erzählungen, die nicht wahr waren. Der Ehrgeiz der Schriftsteller strebte vor allem eine in
gegebenem Rahmen geschlossene und «vom Anfang an» lückenlos fortlaufende Schilderung an, wobei
zumeist schon der Anfang eine Fabel oder Supposition sein mußte.

Nur im Spiegel dieser Literatur kann man das Werk Vasaris richtig verstehen und beurteilen. Es
lag ihm fern, eine Geschichte der Malerei in Italien zu schreiben; eine solche Arbeit lag in seiner Zeit
ganz und gar außerhalb der wissenschaftlichen und literarischen Interessen. Die Freude an dem neu-
gefundenen Vermögen, die Tatsachen und Ereignisse auf das individuelle Eingreifen der beteiligten
Persönlichkeiten zurückzuführen, führte zur Wiedererweckung der antiken Biographie. Seit dem
XV. Jahrhundert wurden aus allen Gebieten des öffentlichen Lebens Lebensbeschreibungen berühmter
Männer zusammengestellt und nach diesen Mustern verfaßt Vasari eine Sammlung von Viten berühmter
Maler. Er verfolgt die Geschichte der italienischen Malerei so weit zurück, als er sie mit Künstlern in

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