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Max Dvorak.
So sind, wie die heiligen drei Gestalten der oberen Reihe, auch die Figuren der beiden Gruppen
nicht eine freie Naturnachahmung sondern nur eine neue Umgestaltung alter, überlieferter und der gan-
zen giottesken Malerei ge-
meinsamer künstlerisch-
sakralen Abstraktionen.
Wendet man sich von
diesen Kirchenheroen zu
den Menschen Jan van
Eycks, so ist es, als wenn
man aus einer einsamen
Glyptothek auf die belebte
Straße treten würde. Statt
Schemen und Kunstwerken
sieht man plötzlich Gestal-
ten, die Fleisch und Blut
haben, bei welchen man
nicht nur die künstlerische
Realität zu bewundern hat
sondern die bis zum Grei-
fen wirkliche Menschen zu
sein scheinen. Blind oder
verblendet müßte das Auge
sein, welches diesen schrei-
enden Unterschied nicht
sehen könnte. Wie der in
der thronenden Himmels-
königin verkörperte alte
Schönheitskanon in den
Madonnen Jans durch die
der Natur abgelauschten An-
mut eines nordischen Mäd-
chens ersetzt wurde, so tre-
ten an die Stelle der nach
dem Vorbilde alter Ideal-
figuren erfundenen Kir-
chenhelden der Anbetung
des Lammes in den Bil-
dern Jans Gestalten, in wel-
chen die Ahnengalerie einer
überwundenen Kunst durch
ein neues Geschlecht ab-
gelöst wurde, Gestalten, die
nicht der Rüstkammer einer
alten künstlerischen Tradi-
tion sondern ganz und gar
einer neuen künstlerischen
Erfahrung und Beobach-
, „ . . ... „. . ,, „ .. tung entsprungen sind. Zwi-
Jan van t-yck. Die heiligen Einsiedler, vom Genter Altar. '
Berlin, königl. Galerie (Ausschnitt). Schen den Heiligen Jans
Fig. 1/
Max Dvorak.
So sind, wie die heiligen drei Gestalten der oberen Reihe, auch die Figuren der beiden Gruppen
nicht eine freie Naturnachahmung sondern nur eine neue Umgestaltung alter, überlieferter und der gan-
zen giottesken Malerei ge-
meinsamer künstlerisch-
sakralen Abstraktionen.
Wendet man sich von
diesen Kirchenheroen zu
den Menschen Jan van
Eycks, so ist es, als wenn
man aus einer einsamen
Glyptothek auf die belebte
Straße treten würde. Statt
Schemen und Kunstwerken
sieht man plötzlich Gestal-
ten, die Fleisch und Blut
haben, bei welchen man
nicht nur die künstlerische
Realität zu bewundern hat
sondern die bis zum Grei-
fen wirkliche Menschen zu
sein scheinen. Blind oder
verblendet müßte das Auge
sein, welches diesen schrei-
enden Unterschied nicht
sehen könnte. Wie der in
der thronenden Himmels-
königin verkörperte alte
Schönheitskanon in den
Madonnen Jans durch die
der Natur abgelauschten An-
mut eines nordischen Mäd-
chens ersetzt wurde, so tre-
ten an die Stelle der nach
dem Vorbilde alter Ideal-
figuren erfundenen Kir-
chenhelden der Anbetung
des Lammes in den Bil-
dern Jans Gestalten, in wel-
chen die Ahnengalerie einer
überwundenen Kunst durch
ein neues Geschlecht ab-
gelöst wurde, Gestalten, die
nicht der Rüstkammer einer
alten künstlerischen Tradi-
tion sondern ganz und gar
einer neuen künstlerischen
Erfahrung und Beobach-
, „ . . ... „. . ,, „ .. tung entsprungen sind. Zwi-
Jan van t-yck. Die heiligen Einsiedler, vom Genter Altar. '
Berlin, königl. Galerie (Ausschnitt). Schen den Heiligen Jans
Fig. 1/