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Max Dvofäk.
niederländischen Malerei gemahnen, als auch die vielbewunderte Abendstimmung, die der Maler der
Landschaft zu verleihen wußte. Die auf einem Hügel im Hintergrunde sich erhebende Stadt wird grell
von der untergehenden Sonne beleuchtet. Auch bei den Landschaften Jans leuchten in der nebligen
Ferne einzelne Farben und Lichtflecken auf, so wie es der Maler in der Natur beobachtet haben mag;
aber auf keinem der authentischen Bilder finden wir diese Beobachtung mit einer bestimmten momen-
tanen atmosphärischen Luftstimmung verbunden. Erst der Kopist mag ihr eine solche Deutung
gegeben haben, die am Anfange
des Jahrhunderts beispiellos, in den
Werken des Dirck Bouts und seiner
Zeitgenossen jedoch keine Selten-
heit ist.
Es gibt auch eine äußere Be-
stätigung für diese Datierung. Auf
dem Bilde ist das Wappen der
Familie de Commines gemalt, und
da es von einer Kette des Michaels-
ordens umgeben ist, kann es sich
nur um das Wappen des Histori-
kers und Staatsmannes Philippe de
Commines handeln, der im Jahre
1477 den Michaelsorden erhalten
hat. 1 Das Original Jans dürfte
sich wohl in einer Kirche befunden
haben und die Annahme, daß Phi-
lippe sein Wappen darauf hätte
malen lassen, wie Friedlander ver-
mutet, ist wenig wahrscheinlich.
Der größte Historiker Frankreichs
besaß eine glänzende humani-
stische Bildung und war ein eifri-
ger Sammler von Kunstwerken2
und so mochte diese Wiederholung
von einem berühmten Bilde Jans
für seine Schatzkammer oder Ka-
pelle gemalt worden sein.
4. Die Stigmatisation des
heil. Franziskus in Turin. Die-
ses Bild enthält eine Komposition,
welche besonders berühmt oder
beliebt gewesen sein muß. Sie hat
sich in zwei alten Repliken erhal-
ten und wurde noch von dem
Meister des Todes Mariä benützt und von Patinir wiederholt. Daß ihre Erfindung, wenn einem von
den Brüdern, so Jan und nicht Hubert zugeschrieben werden muß, kann aus denselben Gründen als
unzweifelhaft angesehen werden, die wir bei den früher besprochenen Bildern geltend gemacht haben
Fig. 33. Petrus Kristus, Madonna mit dem Stifter.
Berlin, königl. Gemäldegalerie.
1 Kervyn de Lettenhove, Lettres de Philippe de Commines I, 161. Kaemmerer vermutet, daß es sich um die Insignien
eines Jakobsritters handelt; doch der St. Jagoorden kommt nicht in Betracht und der holländische Jakobsorden, der im XIII.
Jahrhundert existiert haben soll, scheint eine Erfindung der Schriftsteller des XVII. Jahrhunderts zu sein.
2 Kervyn de Lettenhove, Lettres II, 340 ff.
Max Dvofäk.
niederländischen Malerei gemahnen, als auch die vielbewunderte Abendstimmung, die der Maler der
Landschaft zu verleihen wußte. Die auf einem Hügel im Hintergrunde sich erhebende Stadt wird grell
von der untergehenden Sonne beleuchtet. Auch bei den Landschaften Jans leuchten in der nebligen
Ferne einzelne Farben und Lichtflecken auf, so wie es der Maler in der Natur beobachtet haben mag;
aber auf keinem der authentischen Bilder finden wir diese Beobachtung mit einer bestimmten momen-
tanen atmosphärischen Luftstimmung verbunden. Erst der Kopist mag ihr eine solche Deutung
gegeben haben, die am Anfange
des Jahrhunderts beispiellos, in den
Werken des Dirck Bouts und seiner
Zeitgenossen jedoch keine Selten-
heit ist.
Es gibt auch eine äußere Be-
stätigung für diese Datierung. Auf
dem Bilde ist das Wappen der
Familie de Commines gemalt, und
da es von einer Kette des Michaels-
ordens umgeben ist, kann es sich
nur um das Wappen des Histori-
kers und Staatsmannes Philippe de
Commines handeln, der im Jahre
1477 den Michaelsorden erhalten
hat. 1 Das Original Jans dürfte
sich wohl in einer Kirche befunden
haben und die Annahme, daß Phi-
lippe sein Wappen darauf hätte
malen lassen, wie Friedlander ver-
mutet, ist wenig wahrscheinlich.
Der größte Historiker Frankreichs
besaß eine glänzende humani-
stische Bildung und war ein eifri-
ger Sammler von Kunstwerken2
und so mochte diese Wiederholung
von einem berühmten Bilde Jans
für seine Schatzkammer oder Ka-
pelle gemalt worden sein.
4. Die Stigmatisation des
heil. Franziskus in Turin. Die-
ses Bild enthält eine Komposition,
welche besonders berühmt oder
beliebt gewesen sein muß. Sie hat
sich in zwei alten Repliken erhal-
ten und wurde noch von dem
Meister des Todes Mariä benützt und von Patinir wiederholt. Daß ihre Erfindung, wenn einem von
den Brüdern, so Jan und nicht Hubert zugeschrieben werden muß, kann aus denselben Gründen als
unzweifelhaft angesehen werden, die wir bei den früher besprochenen Bildern geltend gemacht haben
Fig. 33. Petrus Kristus, Madonna mit dem Stifter.
Berlin, königl. Gemäldegalerie.
1 Kervyn de Lettenhove, Lettres de Philippe de Commines I, 161. Kaemmerer vermutet, daß es sich um die Insignien
eines Jakobsritters handelt; doch der St. Jagoorden kommt nicht in Betracht und der holländische Jakobsorden, der im XIII.
Jahrhundert existiert haben soll, scheint eine Erfindung der Schriftsteller des XVII. Jahrhunderts zu sein.
2 Kervyn de Lettenhove, Lettres II, 340 ff.