Das Rätsel der Kunst der Brüder van Eyck.
der späteren Zeit der künstlerischen Individualität beizumessen ist. Doch auch dieser Einwand könnte
nur in bezug auf die persönliche Bedeutung der Künstler, die gewiß auch nicht ganz außer acht zu
lassen ist, und nicht in bezug auf die allgemeinen Strömungen in dem Kunstschaffen zugelassen
werden.
Der Hauptgrund, warum dem allerletzten Künstler der späteren Kunstperioden und der geringsten
stilistischen Schwankung mehr Interesse entgegengebracht wird als den wichtigsten Entwicklungs-
phasen der gotischen Kunst, ist vor allem in den literarischen Quellen unseres kunstgeschichtlichen
Wissens zu suchen. Von der Entwicklung der Kunst im Quattro- und Cinquecento wissen wir des-
halb so viel, weil das Leben ihrer Träger in der gleichzeitigen oder nicht viel späteren humanistischen
Literatur ausführlich geschildert und der Zukunft überliefert wurde. In den «ruhmreichen und die
Vaterstadt ehrenden» Lebensschicksalen der einzelnen Künstler, welche von ruhmsüchtigen Literaten
und zur Verherrlichung der Kommunen beschrieben wurden, spiegeln sich naturgemäß auch die Ge-
schicke der Kunst. Ein weiteres mittelbares und unmittelbares Verdienst dieser Literatur ist es jedoch,
daß man auf die Erhaltung jener Denkmäler bedacht gewesen ist, welchen sie eine zweite Existenz,
vitam aere perennius verliehen hat.
Da jedoch die kunstgeschichtliche Literatur der Renaissance und auch später ein treuer Wieder-
hall der gleichzeitigen Kunstströmungen gewesen ist, fand sie nur solche Kunsterzeugnisse beach-
tenswert, die in irgendwelcher erkenntlicher Beziehung zu dem damals modernen Kunstleben ge-
standen sind. Diese Wertschätzung, welche natürlich nicht nur auf die Bücher beschränkt geblieben
ist sondern als der allgemeine Gesichtspunkt der humanistischen Bildung vergangenen Kunstperioden
gegenüber betrachtet werden kann, erklärt uns auch, warum sich Kunstdenkmäler bis zu einem ge-
wissen Zeitpunkte reich oder Zumindestens ausreichend erhalten haben, in der unmittelbar voran-
gehenden Zeit jedoch plötzlich fast ganz fehlen. Von der giottesken Wandmalerei besitzen wir heute
noch einen großen Teil des ursprünglichen Bestandes und jedenfalls alle wichtigeren Werke, von den
romanischen Wandgemälden, die, wie wir heute bereits mit Bestimmtheit schließen können, die
Wände in allen Kirchen bedeckten, nur das, was zufällig unter der Kruste späterer Ubermalungen
nicht zugrunde ging. Ein ähnliches Fatum hat noch unerbittlicher im Norden gewaltet. Dort griff die
humanistische Bewegung später ein und so wurde auch die Grenze der beachtenswerten Kunstdenkmäler
weiter hinaufgeschoben. Während wir in Italien über die Kunst des XIV. Jahrhunderts noch ziemlich
gut unterrichtet sind, finden wir in der Literatur des XVI. und XVII. Jahrhunderts, die sich mit der
Geschichte der Kunst nördlich der Alpen beschäftigt, nicht einmal eine Erwähnung, daß es vor dem
XV. Jahrhundert auch Künstler und eine Kunst gegeben hat. Da diese Literatur durchwegs auf An-
schauungen beruht, die in der italienischen Kunstentwicklung des XV. und XVI. Jahrhunderts ihren
Ursprung haben, waren ihr die Kunstwerke der spätgotischen Kunst nicht nur künstlerisch unverständ-
lich sondern auch deshalb uninteressant, weil sie in ihrer Mehrzahl nicht zu jenen Kategorien von
Kunsterzeugnissen gehören, an welche die Schicksale der Kunst seit der Renaissance gebunden waren.
Nur gelegentlich und der Vollständigkeit halber erwähnt Vasari einen Teppichweber, einen Glasmaler
oder Illuminator, was ja in der Kunst, welche er zu schildern hatte, natürlich und berechtigt war. Nicht
anders ist es bei seinen Nachahmern im Norden, bei welchen solche Erwähnungen noch seltener und
kürzer sind. Kunstwerke der Teppichweberei, der Glasmalerei oder Illuminierkunst haben für sie
bereits nur einen kunstgewerblichen Wert und Perioden, in welchen sich die Fortschritte der Malerei
vor allem in diesen Kunstzweigen vollzogen haben, keine geschichtliche Bedeutung. Dadurch wird uns
verständlich, warum etwa die Fresken Agnolo Gaddis in literarischen Zeugnissen und im Original bis auf
uns gekommen sind, wogegen z. B. von der großen Tapisserie mit der Darstellung der Schlacht von Roos-
becke, welche der Herzog von Burgund im Jahre i386 in der Länge von 285 m zu Arras weben ließ
und welche an kunstgeschichtlicher Bedeutung gewiß nicht den Freskenzyklen der bedeutendsten unter
den gleichzeitigen italienischen Malern nachstand, auch nicht einmal eine kurze Beschreibung sich er-
halten hat. Auch diese Kunstwerke hätten sich zweifellos erhalten, wenn man ihnen in späteren Zeiten
irgendwelche künstlerische oder nationale Bedeutung beigelegt hätte. Als aber ein kulturgeschicht-
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der späteren Zeit der künstlerischen Individualität beizumessen ist. Doch auch dieser Einwand könnte
nur in bezug auf die persönliche Bedeutung der Künstler, die gewiß auch nicht ganz außer acht zu
lassen ist, und nicht in bezug auf die allgemeinen Strömungen in dem Kunstschaffen zugelassen
werden.
Der Hauptgrund, warum dem allerletzten Künstler der späteren Kunstperioden und der geringsten
stilistischen Schwankung mehr Interesse entgegengebracht wird als den wichtigsten Entwicklungs-
phasen der gotischen Kunst, ist vor allem in den literarischen Quellen unseres kunstgeschichtlichen
Wissens zu suchen. Von der Entwicklung der Kunst im Quattro- und Cinquecento wissen wir des-
halb so viel, weil das Leben ihrer Träger in der gleichzeitigen oder nicht viel späteren humanistischen
Literatur ausführlich geschildert und der Zukunft überliefert wurde. In den «ruhmreichen und die
Vaterstadt ehrenden» Lebensschicksalen der einzelnen Künstler, welche von ruhmsüchtigen Literaten
und zur Verherrlichung der Kommunen beschrieben wurden, spiegeln sich naturgemäß auch die Ge-
schicke der Kunst. Ein weiteres mittelbares und unmittelbares Verdienst dieser Literatur ist es jedoch,
daß man auf die Erhaltung jener Denkmäler bedacht gewesen ist, welchen sie eine zweite Existenz,
vitam aere perennius verliehen hat.
Da jedoch die kunstgeschichtliche Literatur der Renaissance und auch später ein treuer Wieder-
hall der gleichzeitigen Kunstströmungen gewesen ist, fand sie nur solche Kunsterzeugnisse beach-
tenswert, die in irgendwelcher erkenntlicher Beziehung zu dem damals modernen Kunstleben ge-
standen sind. Diese Wertschätzung, welche natürlich nicht nur auf die Bücher beschränkt geblieben
ist sondern als der allgemeine Gesichtspunkt der humanistischen Bildung vergangenen Kunstperioden
gegenüber betrachtet werden kann, erklärt uns auch, warum sich Kunstdenkmäler bis zu einem ge-
wissen Zeitpunkte reich oder Zumindestens ausreichend erhalten haben, in der unmittelbar voran-
gehenden Zeit jedoch plötzlich fast ganz fehlen. Von der giottesken Wandmalerei besitzen wir heute
noch einen großen Teil des ursprünglichen Bestandes und jedenfalls alle wichtigeren Werke, von den
romanischen Wandgemälden, die, wie wir heute bereits mit Bestimmtheit schließen können, die
Wände in allen Kirchen bedeckten, nur das, was zufällig unter der Kruste späterer Ubermalungen
nicht zugrunde ging. Ein ähnliches Fatum hat noch unerbittlicher im Norden gewaltet. Dort griff die
humanistische Bewegung später ein und so wurde auch die Grenze der beachtenswerten Kunstdenkmäler
weiter hinaufgeschoben. Während wir in Italien über die Kunst des XIV. Jahrhunderts noch ziemlich
gut unterrichtet sind, finden wir in der Literatur des XVI. und XVII. Jahrhunderts, die sich mit der
Geschichte der Kunst nördlich der Alpen beschäftigt, nicht einmal eine Erwähnung, daß es vor dem
XV. Jahrhundert auch Künstler und eine Kunst gegeben hat. Da diese Literatur durchwegs auf An-
schauungen beruht, die in der italienischen Kunstentwicklung des XV. und XVI. Jahrhunderts ihren
Ursprung haben, waren ihr die Kunstwerke der spätgotischen Kunst nicht nur künstlerisch unverständ-
lich sondern auch deshalb uninteressant, weil sie in ihrer Mehrzahl nicht zu jenen Kategorien von
Kunsterzeugnissen gehören, an welche die Schicksale der Kunst seit der Renaissance gebunden waren.
Nur gelegentlich und der Vollständigkeit halber erwähnt Vasari einen Teppichweber, einen Glasmaler
oder Illuminator, was ja in der Kunst, welche er zu schildern hatte, natürlich und berechtigt war. Nicht
anders ist es bei seinen Nachahmern im Norden, bei welchen solche Erwähnungen noch seltener und
kürzer sind. Kunstwerke der Teppichweberei, der Glasmalerei oder Illuminierkunst haben für sie
bereits nur einen kunstgewerblichen Wert und Perioden, in welchen sich die Fortschritte der Malerei
vor allem in diesen Kunstzweigen vollzogen haben, keine geschichtliche Bedeutung. Dadurch wird uns
verständlich, warum etwa die Fresken Agnolo Gaddis in literarischen Zeugnissen und im Original bis auf
uns gekommen sind, wogegen z. B. von der großen Tapisserie mit der Darstellung der Schlacht von Roos-
becke, welche der Herzog von Burgund im Jahre i386 in der Länge von 285 m zu Arras weben ließ
und welche an kunstgeschichtlicher Bedeutung gewiß nicht den Freskenzyklen der bedeutendsten unter
den gleichzeitigen italienischen Malern nachstand, auch nicht einmal eine kurze Beschreibung sich er-
halten hat. Auch diese Kunstwerke hätten sich zweifellos erhalten, wenn man ihnen in späteren Zeiten
irgendwelche künstlerische oder nationale Bedeutung beigelegt hätte. Als aber ein kulturgeschicht-
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